Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 5. Februar 1923

Das Wucheramt des Landkreises Solingen appelliert im Kampf gegen den Wucher an das patriotische Ehr- und Pflichtgefühl der Bevölkerung.

       Die Mithilfe der Verbraucher bei der Wucherbekämpfung
erbittet das Kreiswucheramt in Opladen durch folgenden Aufruf:
       „Heute, wo die Feinde so sehr auf uns eindringen und uns den
Lebensnerv völlig abzuschneiden versuchen, ist es ganz selbstver-
ständlich, daß wir Hauptfront machen müssen gegen unseren inneren
Feind, daß ist der Wucher. Wie es stets verwerflich war und ist,
wenn jemand des schnöden Gewinnes wegen seine Mitmenschen
übervorteilt, so ist es heute ein Verbrechen am Vaterlande, wenn
gewisse Leute sich dazu hergeben, dem Feinde die Sache dadurch zu
erleichtern, daß sie für einen Judaslohn die Fackel der Unzu-
friedenheit unter die eigenen Reihen werfen und so das Durch-
halten, das heute mehr denn je am Platze ist, zu vereiteln ver-
suchen. Denn es steht fest, daß wir heute um „Sein“ oder „Nicht-
sein“ ringen. Wir können aber nur dann siegreich aus diesem Rin-
gen hervorgehen, wenn wir einmütig zusammenstehen. Dies ist
aber nur möglich, wenn jede Uebervorteilung der Verbraucher-
schaft und jede Warenzurückhaltung unterbleibt. Jede unbe-
rechtigte Preiserhöhung erzeugt tiefte [sic!] Unzufriedenheit. Wollen
wir aber lebensfähig bleiben, so brauchen wir größte Einigkeit,
die aber leicht durch derartiges Vorgehen gestört wird. Was dann
kommt, weiß jeder. Ein Kommentar hierzu ist überflüssig. Auch
die Verbraucher müssen das ihrige tun. Auch sie müssen mit den
Verhältnissen rechnen und gegebenenfalls auch auf etwas ver-
zichten können, was ihnen sonst unentbehrlich schien. So bedenke
jeder, daß durch den Buttergenuß einmal die notwendige Frisch-
milch unseren Säuglingen entzogen wird und dann, daß die
Milchpreise hierdurch in die Höhe getrieben werden. Eine erhöhte
Nachfrage hat ständig einen höheren Preis zu Folge; erhält aber
der Erzeuger für die Butter (Magermilch, Buttermilch und Butter)
mehr als für die Frischmilch, so ist es leicht möglich,  daß er auch
nunmehr für letztere mehr verlangt. Was in dieser Hinsicht von
der Butter zu sagen ist, gilt auch von anderen Waren, deren Ge-
nuß wir uns versagen müssen, weil wir Ersatz dafür haben. Das
Kreiswucheramt bittet daher alle, ihm behilflich zu sein, aufs
schärfste gegen den Wucher vorgehen zu können, mag er entweder
in erhöhter Preisforderung oder in der Zurückhaltung von Waren
liegen, sowie auch für sich selbst jede mögliche Entbehrung sich
aufzuerlegen. Jeder ist heute verpflichtet, sich die Einschränkungen
aufzuerlegen, die das Vaterland von ihm verlangen kann und
muß.“       

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