Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 26. Februar 1923
Bergische Wirtschaftskreise fordern die Aufhebung der Außenhandelsüberwachung
Wirtschaftlicher Teil.
–
Los von der Aussenhandelsüberwachung.
Von G. Adolf Klingelnberg, Fabrikant, Remscheid-Berghausen.
III.
(Schluß.)
Die engeren wirtschaftlichen Gründe gegen das System der
Außenhandelsüberwachung fußen auf folgenden Tatsachen:
1. Deutschland ist in der Rohstoffversorgung gegen das
Ausland stark im Nachteil.
2. Die deutschen Lieferanten haben stark unter der bekla-
genswerten Frachtpolitik zu leiden, die schon im eigenen Lande
die Wettbewerbsverhältnisse vollständig umgewandelt hat.
3. Das Ausland umgibt sich mehr und mehr mit Schutz-
zöllen. Denken wir an Belgien, Frankreich, Spanien, Italien,
die Vereinigten Staaten von Nordamerika und an Canada.
4. Die traurigen Verhältnisse in Deutschland bedingen Lie-
ferfristen, mit denen wir im Regelsfalle gegenüber dem auslän-
dischen Wettbewerb unglücklich dastehen.
5. Die Teuerungswellen haben Preise bedingt, die zum Teil
trotz traurigster Entwertung der Mark über dem Weltmarkt-
preis liegen, zum Teil wenigstens denselben erreicht haben.
6. Die Einfuhrüberwachung hat in gelegentlichen Fällen voll-
ständig versagt, sie kann nun einmal nicht von der Ueberwa-
chung der Ausfuhr getragen werden.
7. Die Kapitalnot macht sich wachsend in Deutschland be-
merkbar, in Verbindung damit auch der Arbeitsmangel.
Es war eine erlösende Tat der Bergischen Handelskammer
in Remscheid, daß sie in der ersten Vollversammlung dieses
Jahres einmütig die Außenhandelsüberwachung ablehnte.
Was ist zu tun? Wir sind uns darüber klar, daß ein Kampf
nicht des Kampfes wegen geführt werden darf, vielmehr um
Besseres an die Stelle des Bestehenden zu setzen. Vor einer
plötzlichen Aufgabe der ganzen Ueberwachung ist natürlich zu
warnen. Wenn diese Auffassung vertreten werden darf, muß
aber Einsicht gezeigt werden, insbesondere eine Elastizität,
die es denjenigen Berufskreisen ermöglicht, die die Notwendig-
keit einer Außenhandelsüberwachung ablehnen, von dem
Zwangssystem auf Grund eigenen Beschlusses abzukommen.
Die Verhältnisse liegen zweifellos für die einzelnen Erzeugnisse
verschieden. Ich deutete schon das Gutachten des Vorläufigen
Reichswirtschaftsrates, das kürzlich veröffentlicht worden ist,
an. Im besonderen hob ich hervor, daß in diesem Gutachten
nach Jahren Mängel grundsätzlicher Art festgestellt werden
mußten. Den einzelnen Punkten des Gutachtens kann im all-
gemeinen zugestimmt werden. Es muß im besonderen bean-
sprucht werden, daß die Außenhandelsausschüsse die Tätigkeit
verantwortlich zu erfüllen haben, indem sie die Stellung ge-
wissermaßen in der Weise erfüllen, wie die Aufsichtsräte ver-
antwortlich gegenüber den Aktiengesellschaften sind. Die Ge-
bühren müssen durchweg ermäßigt werden, schon deswegen,
um ein unangebrachtes Festhalten an der Außenhandelsüber-
wachung durch zu große Ueberschüsse abzuriegeln. Auch
stimme ich damit überein, daß die Trennung der Preisprüfung
von den Fachverbänden ein notwendiges Ziel ist. Soweit in
Fachverbänden die Mehrheit über die Außenhandelsüberwachung
sich ausspricht, hat diese zu unterbleiben, zumal der Handel auf
der ganzen Linie eine ablehnende Stellung einnimmt.
Stellen wir uns bei allen unseren Gedankengängen ein auf
eine lange Sicht. Verlassen wir doch endlich den Boden der
so übel hervortretenden deutschen Politik, nämlich den der
kurzen Sicht. Anstelle der Unruhe, der kurzen Sicht, der Ta-
gesauffassung, muß die Einsicht, die ruhige und kalte Erwägung
der langen Sicht treten. Konzentrieren wir unsere Bestrebun-
gen um die uns durch den Vertrag von Versailles genommene
Meistbegünstigung nach und nach bei den Zollverhandlungen
in den anderen Ländern wieder zu erreichen. Beachten wir,
daß Deutschland heute schon ein starkes Einfuhrland geworden
ist, woraus sich Folgerungen ergeben, die in den vorausgegan-
genen Bemerkungen gekennzeichnet worden sind.
Opfer bringen – wird immerzu gewünscht, – wenig aber
praktisch gezeigt. Opfer muß, was die Zwangsbewirtschaftung
angeht, der Käufer bringen gegenüber dem Einzelhandel, der
Mieter in der Wohnungsfrage, so der Fabrikant in der Außen-
handelsregelung. Trachten wir danach, daß die Inflation auf-
hört, die Notenpresse stillgelegt wird. Im Grunde ist das doch
das Kernstück des Aufbaues.
In dem Maße, wie die Vorschriften der Zwangsregelung be-
seitigt werden, steigern wir die Arbeitsleistung und die seeli-
schen Kräfte.
Ich weiß, daß meine Ausführungen einem Teil der Industrie
nicht genehm ist. Ich schließe die Ausführungen mit dem Satz,
den ich kürzlich gelegentlich einer Tagung eines Industriever-
bandes ausgesprochen habe, und den ich der „Kölnischen Zei-
tung“ entnommen hatte, hinweisend auf den Bürgermeister
Hylan in New York. Von ihm sagt die genannte Zeitung:
„Trotzdem hat er immer eine Katze eine Katze genannt und
ist am Leben geblieben, ein aufrichtiger Mann ist immer noch
eine Erscheinung, dem man die Achtung nicht versagt.“
Wenn Sie sich die vollständige Ausgabe des Solinger Tageblatts ansehen möchten, klicken Sie auf den Link: Solinger Tageblatt vom 26. Februar 1923
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen: RK (26. Februar 2023). 26. Februar 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 17. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/ae5p