Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 30. Dezember 1923
Auch während der Weihnachtstage habe die deutsche Regierung nur bedingt Ruhe. Außenminister Gustav Stresemann sei beschäftigt, sich mit Vertretern der Alliierten zu besprechen. Insbesondere gehe es darum, die kommenden Verhandlungen mit Frankreich über Reparationen und Ruhrbesetzung vorzubereiten. Ferner würden neue Notverordnungen ausgearbeitet.
Festumrissene Ziele.
Von unserem Berliner Vertreter wird uns geschrieben:
Während der Weihnachtstage war es still in
der Wilhelmstraße. Auch die Regierung hatte
Ruhe, nachdem sie noch am Montag wichtige
Entscheidungen getroffen hatte. Der Außenmini-
ster hatte in der letzten Woche wichtige Bespre-
chungen mit den diplomatischen Vertretern Eng-
lands, Amerikas und Italiens, später mit dem
französischen Botschafter und dem belgischen Ge-
sandten. Seine Unterredungen bestrafen nicht al-
lein die kommenden Verhandlungen mit Frank-
reich und Belgien, sondern die außenpolitische Lage
überhaupt. Soweit wir erfahren konnten, hat
Stresemann ausdrücklich betont, daß er bestrebt
sein werde, die Rechtsfrage über die Besetzung
des Ruhrgebietes zur Entscheidung zu bringen,
da mit der Lösung erst dieser Frage sich die Mög-
lichkeit bietet, diesen Fragenkomplex richtig zu
behandeln. Wenn er jetzt mit Frankreich di-
rekte Verhandlungen anstrebe, so sei dabei nicht
an Abschlüsse gedacht, die einer endgültigen Lö-
sung des Ruhrproblems im Wege stehen sollen.
Alle Abmachungen werden unter Vorbehalt spä-
terer Aenderungen getroffen. Außerdem ist auch
Frankreich gegenüber bereits betont worden, daß
deutsche Zustimmung zu einer oder der anderen
Verhandlungspunkte keine Zustimmung für die
Rechtsmäßigkeit der Ruhrbesetzung bedeute. Unter
dieser Einschränkung hat der deutsche Beauftragte
Poincare die deutsche Bereitwilligkeit zur direkten
Besprechung über bestimmt festgelegte Fragen er-
klärt. Soweit bisher feststeht, werden die Ver-
handlungen schon in den ersten Januartagen er-
folgen und sofort nach der noch ausstehenden
Antwort Poincares aufgenommen werden. Diese
wird nicht vor Neujahr erwartet. Die Verhand-
lungen sollen, wie inzwischen beschlossen ist, der
Gestalt sein, daß Frankreich und Belgien ge-
meinsam Vertreter bestellen, während Deutschland
seine Vertreter noch ernennen muß. Es hängt
von der nächsten Antwort Poincare ab, ob die
Verhandlungen in Paris oder in einer Stadt des
besetzten Gebietes erfolgen. Man nahm früher
an. Poincare werde sie selbst führen, von dieser
Absicht scheint er abgekommen zu sein. Ent-
sprechend der französischen Verhandlungsteilneh-
mer werden auch deutsche bestellt werden. Neuer-
dings hat die Berliner Regierung nun ihre Vor-
stellungen, die zunächst dem französischen Bot-
schafter in Berlin über die Unterstützung der
Separatisten in der Pfalz durch die französische
Besatzung gemacht wurden, in Paris noch einmal
wiederholt. Und es besteht die Absicht, auch die
übrigen alliierten Mächte auf das anfechtbare
Vorgehen der Franzosen hinzuweisen. Da sich
eine Klärung der außenpolitischen Fragen bis Neu-
jahr nicht ergeben werden, vielmehr die Antwor-
ten abgewartet werden müssen, hat sich der Au-
ßenminister am zweiten Weihnachtstag zu einer
kurzen Erholungsreise Urlaub genommen, von
der er sofort nach Neujahr wieder in Berlin ein-
treffen wird. Währenddes gehen die Beratun-
gen über die Notverordnungen auch in diesen Ta-
gen weiter. Noch vor Neujahr wird die dritte
Steuerserie bekanntgegeben, die ebenfalls in den
Steuerkomplex einzuziehen ist und damit die
Steuerarbeiten abrunden soll. Nach Fertigstel-
lung der Steuervorlagen, die bereits anfangs
Januar erhoben werden sollen, wird die Regie-
rung an die noch ungelösten wirtschaftlichen Fra-
gen herangehen. Der Achtstundentag soll noch
eine große Rolle spielen, die Preiskontrolle söll
neu geregelt werden. Man denkt auch an neue
Monopolbildungen, will sofort nach Neujahr die
Aufwertung der Mieten festsetzen und die Heran-
ziehung des städtischen Grundbesitzes zur Deckung
der Rentenmark beschließen. Auch die Frage
der Notstandsarbeiten soll von Reichswegen in
Angriff genommen werden. Dem Reichstag wird
der Nachtragsetat sofort nach der endgültigen
Erledigung der Steuervorlagen zugehen. Es wird
mit dem Zusammentritt des Reichstages etwa
am 20. Januar gerechnet. Mit diesem Tage
soll auch das Ermächtigungsgesetz dem Reichs-
tag zurückgegeben werden.
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Stadtarchiv Troisdorf (30. Dezember 2023). 30. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/vf9g