Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 20. Dezember 1923

Wie sieht die außenpolitische Lage aus?

          Außenpolitische Aussichten.

   Von unserem Berliner Vertreter wird uns
geschrieben:
   Während noch am Sonntag die Auffassung sel-
ber in der Berliner Regierung niedergeschlagen
war, hat inzwischen das Bekanntwerden der
französischen Antwort auf die deutschen Anre-
gungen einen gewissen Optimismus aufkommen
lassen. Die Regierung wird Stellung dazu nehmen,
wie die Verhandlungen in die Wege geleitet wer-
den sollen. Es bedarf noch der Uebereinkunft
wann die Verhandlungen beginnen sollen. Weiter
muß festgelegt werden, wo die Verhandlungen
stattfinden sollen, und welche Vertreter jede der
beteiligten Regierungen zu stellen hat. Es steht
auch noch nicht fest, ob auf der anderen Seite

Frankreich und Belgien gemeinsam vertreten sein
werden, oder ob mit jeder dieser Regierungen ge-
sonderte Verhandlungen stattzufinden haben.
Ueber diese Einzelfragen werden noch Feststel-
lungen notwendig sein. In Berlin hat man nun
den Eindruck, daß es vorteilhaft wäre, wenn
ein deutscher Botschafter die Geschäfte des Rei-
ches in Paris vertreten würde. Man schließt
aus einer Aeußerung Poincares, daß er mit ei-
nem deutschen Botschafter, oder mit dem jetzigen
Geschäftsträger v. Hoesch, wenn er zum Bot-
schafter ernannt werden sollte, weitere Unterhal-
tungen haben könnte, daß der französischen Regie-
rung die Ernennung eines deutschen Botschafters
erwünscht wäre und daß Herr v. Hoesch gewünscht
sei. Ueber diese Frage wird deshalb gleichzeitig
in Berlin Beschluß gefaßt. Die Berliner Regie-
rung will außerdem gleichzeitig den Einwand
Poincares beantworten, daß die Nichtzulassung
der Militärkontroll-Kommission immerhin noch
eine Schwierigkeit sei, und darauf hinweisen, daß
die Militärkontrollkommission sofort in Tätigkeit
treten könne, wenn der deutschen Regierung
nicht die Verantwortung für Unzuträglichkeiten
aufgeladen werden. Jede Spannung soll jeden-
falls beseitigt werden, um die Verhandlungen
schnell in Fluß zu bringen. Wenn sie auch ein-
geengt sein werden, so besteht doch in Berlin die
Ansicht, daß zunächst einmal der Anfang mit der
direkten Aussprache gemacht werden muß. In-
zwischen will sich die Berliner Regierung be-
mühen, die Reparationsverhandlungen in Gang
zu bringen, da sie der Auffassung ist, daß Ruhr-
und Reparationsfrage zusammenhängen. Da die
Reparationsfrage jedoch mit allen beteiligten Al-
liierten besprochen werden muß, so unternimmt die
Berliner Regierung zunächst Feststellungen, wel-
che Vorschläge den alliierten Regierungen ange-
nehm wären. Sie wird dann bei sämtlichen be-
teiligten Regierungen eine direkte und unge-
säumte Besprechung der Reparationsfrage auf
völlig neuer Basis vorschlagen. Dabei sollen die
belgischen Vorschläge die Grundlage sein. Die
Sachverständigenkommissionen der Reparations-
kommission werden ihre Beratungen jedenfalls
länger hinziehen, sodaß in Berlin angenommen
wird, es sei ratsam, in direkten Verhandlungen
die Lösung zu suchen. Diese Verhandlungen
könnten ja mit den Untersuchungen der Sach-
verständigenkommission gleichgehen, denen die
Berliner Regierung die größte Unterstützung ge-
währen will. In der Berliner Regierung herrscht
heute die Auffassung vor, die außenpolitische Lage
habe sich so gewandelt, daß alle Aussichten be-
stehen, endlich das schwierigste Problem der Lö-
sung zuzuführen, um das nun schon fünf Jahre
lang gestritten worden ist. Deutschland hat die
Absicht, die größten Lasten, die es nur tragen
kenn, zu übernehmen, und mit großem Freimut
und aller Offenheit für einen Ausgleich zu arbei-
ten, denn nur wenn der noch immer verschwom-
mene Fragenkomplex geklärt ist, kann Deutsch-
land erst an seinen inneren Aufbau gehen und die
Gesundung der inneren Verhältnisse durchführen,
von der wiederum die Möglichkeit größerer Re-
parationsleistungen abhängig sind. Inzwischen
sind ja auch die ersten Bedingungen für die inter-
nationale Anleihe aufgestellt. Es werden bereits
Besprechungen gepflogen. Und es ist möglich, daß
mit der Lösung der Reparationsfrage auch gleich-
zeitig die Anleihefrage geregelt werden kann.