18. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 18. Dezember 1923

Steht ein Wechsel in den Beziehungen zu Frankreich bevor?

                 Stimmungs-Wechsel.

   Von unserem Berliner Vertreter wird uns
geschrieben:
   Wie wir hören sind Verhandlungen zwischen
der deutschen und französischen Industrie einge-
leitet, die sich über den Austausch von Kohlen
und Erzen, über die gegenseitige Beteiligung und
feste Lieferungsabkommen erstrecken werden. Bis
vor kurzem sah die französische Industrie sich
in ihren Bemühungen, mit der deutschen eine Ver-
ständigung herbeizuführen, durch die französische
Politik gehemmt. Man muß aus diesen Ver-
handlungen deshalb schließen, daß in Paris ein
völliger Stimmungs-Umschwung eingetreten ist.
Für beide Beteiligte ist es überaus wichtig, die
alten Beziehungen wieder aufzunehmen, die sie
nur fördern konnten und deren Unterbrechung
durch die Ruhrbesetzung eine große Schädigung
bedeutete. Denn die deutsche Industrie ist von
den Erzlieferungen der Franzosen abhängig, wäh-
rend die Franzosen deutsche Kohlen und Koks
brauchen. Das aber ist es nicht allein, was als
Symptom aufgefaßt werden muß: Französischer
Seite sollte in die Kommission zur Untersuchung
der deutschen Zahlungsfähigkeit der Vorsitzende
der französ. Bankvereinigungen bestimmt werden.
Er hat früher schon der Untersuchungskommis-
sion angehört, die sich mit der deutschen Zahlungs-
fähigkeit beschäftigt und an jenem Gutachten teil-
genommen, daß weitgehende Entlastung Deutsch-
lands, ein Moratorium und eine Anleihe anregte.


Jetzt hat er seine Berufung abgelehnt unter dem
Hinweis, er müsse befürchten, daß er jetzt wieder
den gleichen Hemmungen in Frankreich begegne,
wie früher. Er traut also der französischen Re-
gierung noch nicht. Und aus diesem Mißtrauen
könnte man schließen, daß der Umschwung in
Paris nur recht oberflächlich und nicht für die
Dauer sei. Immerhin neigt man im Auslande
dazu, die deutschen Verhältnisse jetzt anders zu
sehen, und deshalb mehr aus ihnen heraus, als
aus dem französischen Wandel sich bereit zu Ver-
handlungen und zu einer Hilfe für Deutschland
zu finden. Wie wir hören, nehmen die Ver-
handlungen über eine internationale Anleihe im-
mer bestimmtere Formen an, ohne daß die Un-
tersuchung der Ausschüsse der Reparationskom-
mission abgewartet werden. Es ist jedenfalls be-
zeichnend, wenn man in Amerika heute bereits
dem Währungskommissar Dr. Schacht ein Lob-
lied singt und ihn als den Mann preist, der
Deutschland zur inneren Gesundung führte, indem
er es verstand, eine stabile Währung und einen
runden Umrechnungskurs zu erreichen. Man
übersieht dabei, daß Dr. Schacht nicht der An-
reger der Rentenmark gewesen ist. Der deutschna-
tionale Beschluß, Helfferich ein Vertrauens-
votum auszustellen, weil er die Rentenmark ge-
schaffen habe, entspricht in der Hauptsache den Tat-
sachen. Der Gedanke der Rentenbank stammt
von ihm. Er hat die Grundlagen dieser Bank
ausgearbeitet und es verstanden, so den      Aus-
nunmehr die neue Währung zu schaffen, daß
Schließlich aber darf nicht verkannt werden, daß
die Regierung, die vom Reichstag ein Miß-
trauensvotum erhielt, die Regierung Stresemann
es war, die praktisch den Gedanken aufnahm,
nunmehr die neue Währung zu schaffen, daß
sie den Helfferichschen Plan übernahm, ihn um-
gestaltete, und wichtige Beschlüsse faßte, die zuerst
skeptisch aufgenommen, doch bald feste Gestalt
erhielten. Der Regierung Stresemann verdient
auch der Weitblick, einen Mann an die Spitze der
Währungsreform gestellt zu haben. Wenn das
Ausland die Ursachen der Besserung in Deutsch-
land betont und untersucht, wem die Anerkennung
dafür gebührt, so dürfen wir nicht schnellebiger
sein, sondern haben erst der Wahrheit die Ehre zu
geben, da wir schließlich am meisten durch die
Neugestaltung der Dinge berührt werden. Es
verdient nun Interesse, daß die anfänglichen Miß-
trauen gegen die neue Regierung völlig geschwun-
den sind, und die neuen Maßnahmen der Re-
gierung die volle Unterstützung aller Parteien mit
Ausnahme der Deutschnationalen und Kommu-
nisten finden. Selbst parteidogmatische Grundsätze
werden geopfert und der Parteistreit beginnt zu
schweigen. Auch in den deutschnationalen Reihen
christalisiert sich eine andere Auffassung, die nicht
recht mehr mit der offiziellen der Partei in Ueber-
einstimmung zu bringen ist. Man findet hier zwei
Gruppen, deren kleine sich bereits zur Mitarbeit
an der Gesundung im Inneren bereit erklärt,
indessen gegen die größere Oppositionshälfte noch
nicht aufkommen kann.                                 B. P.

Stadtarchiv Troisdorf

Wir verstehen uns gleichermaßen als Ort des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, als moderne Dienstleistungseinrichtung sowie als Partner für die regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Für weitere Informationen sowie unsere digitalen Angebote (Archivführung, Ausstellung, Blog, Personenstandsregister, Podcast etc.) besuchen Sie unsere Website.

More Posts - Website

Follow Me:
TwitterFacebookYouTube


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Troisdorf (18. Dezember 2023). 18. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 15. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/vf8y


Über Stadtarchiv Troisdorf

Wir verstehen uns gleichermaßen als Ort des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, als moderne Dienstleistungseinrichtung sowie als Partner für die regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Für weitere Informationen sowie unsere digitalen Angebote (Archivführung, Ausstellung, Blog, Personenstandsregister, Podcast etc.) besuchen Sie unsere Website.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.