Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 29. Dezember 1923
1923 war das Radiojahr in Deutschland. Dies bietet viele Chancen aber auch Hindernisse. In England und Amerika sei man bereits viele Schritte weiter.
Das Radio-Jahr.
Freie Bahn der Welle!
Läßt man als Deutscher einmal alle poli-
tischen Sorgen und wirtschaftlichen Nöte bei-
seite, so kann man sagen: Es glimmt ein Hoff-
nungsfunke aus dem Technischen. Aus der
Entwicklung des drahtlosen Verkehrs. 1923 war
für Deutschland das erste Jahr des Radiowesens.
Auf dem Weihnachtstische derer, die es sich lei-
sten können, prangte der Empfangsapparat und
der Lautsprecher. War die Antenne in Ordnung,
so konnte man Stille Nacht, heilige Nacht aus
der Luft hören. Tatsächlich, vom Himmel hoch
da kam es her, das Radiowunder! Sogar Reichs-
kanzlerworte wurden für den Fünfuhrtee von
Frau Neureich angekündigt.
Schade nur, daß es eben noch ein Luxus ist!
In England und Amerika baut sich jeder Schul-
junge sein Broadcasting selbst. Man leitet den
Rundfunk ins Hausgrammophon ein. Die Fa-
milie des Arbeiters setzt sich im Kreis herum und
hört stundenlang zu. Unterricht wird auf draht-
losem Wege erteilt. Die Kinder werden mit
einer Märchenerzählung ins Bett gebracht. Man
kann billige Apparate kaufen, die sich bequem
in der Rocktasche tragen lassen. Die Beschäftigung
mit dem Amateur-Radio macht zahlreiche Men-
schen zu Ingenieuren, verleiht ihnen technische
Bildung und technisches Verständnis. Die Folge
ist, daß im Ausland auf drahtlosem Gebiete be-
deutend mehr Erfindungen gemacht werden als
in Deutschland (das doch mit seiner drahtlosen
Telegraphie bereits einen Vorsprung hatte). Wir
sind überholt, wir hinken nach mit unserem
Radiojahr 1923. Und daran ist allein der
deutschamtliche Bürokratismus schuld.
Die Reichspost hat das Monopol. Die Reichs-
telegraphenverwaltung verfügt über eine Reihe
von Funkesendestationen, die den innerdeutschen u.
teilweise auch den Europa-Funkverkehr erledigen.
Seit Herbst 1922 ist der Wirtschaftsrund-
funk von Königswusterhausen eingerichtet, der
so teuer ist, daß nur die großen Firmen des
Handels, der Industrie und – der Spekulation
sich ihn erlauben können, und von dem die Presse
die man doch vor allem als Verbündete der
drahtlosen Nachrichtenübermittelung heranziehen
sollte, geflissentlich fern gehalten wird. Wieweit
die Eifersucht des Wolffbüros dabei mitgespielt
hat, wollen wir hier nicht untersuchen. Genug,
die Reichstelegraphenverwaltung speist das Pub-
likum auf den niedrigen Wellengängen mit ein
bißchen Musik aus Eberswalde ab, es schreibt den
Apparatfabriken bestimmte Konstruktionen vor,
mischt sich in jede Neuerfindung, in jedes Ge-
schäftsgeheimnis, begönnert einzelne und hemmt
alle.
Nur wenige Eingeweihte kennen die traurigen
Zusammenhänge, die der Entwickelung des Fun-
kenwesens in Deutschland bisher entgegengestan-
den und immer noch entgegenstehen. Eine zu
ungeheurem Aufschwung bereite Industrie, die
auf der Welt führend dastehen könnte, ist erstickt
zugunsten einiger Firmen, die den gewaltigen
Bissen, den sie schlucken wollen, nicht entfernt
bewältigen können. Die deutsche Oeffentlichkeit
soll es wissen: Im Auslande hört man Konzerte
und Nachrichten ab, die von den deutschen Statio-
nen ausgesandt werden, die aber in Deutschland
abzuhören verboten ist! Umgekehrt sei es ver-
raten: In vielen Häusern Deutschlands fangen
geschickte Radio-Amateure allabendlich die Dar-
bietungen ab, die man von den sieben Stellen Eng-
lands und etwa einem Dutzend anderer Stellen
des europäischen Kontinents verbreitet wer-
den. Sie taten es bisher ganz im geheimen,
da sie, wenn die Post sie entdeckte, schweren Ver-
folgungen ausgesetzt wären.
Soll das so weitergehen? Die Reichstelegra-
phenverwaltung hat schon vor einigen Monaten
einen Gesetzentwurf herausgebracht, der das
Reichsmonopol verewigen will. Statt allgemeiner
Empfangsfreiheit soll – ein Erlaubnisschein für
die Aufnahme von Funksprüchen eingeführt wer-
den. Produzent und Händler von Apparaten sol-
len verpflichtet sein, ihren Betrieb anzumelden,
Bücher zu führen, ihre Geschäftsgeheimnisse preis-
zugeben, die Käufer zu kontrollieren und was der
lächerlichen Bevormundungen mehr sind. Will
man vielleicht an den Erlaubnisschein Gebühren
knüpfen und sie dem neuen Reichssteuerbukett
einfügen? Die Radiosteuer! Es wäre der Gip-
fel der finanzpolitischen Talentlosigkeit. Denn
diese Gebühren, die kaum die Erhebungskosten
einbringen, würden eine industrielle und kulturelle
Entwicklung ersticken, von deren Bedeutung für
Deutschlands Wiederaufbau man sich offenba
noch nicht die richtige Vorstellung macht. Freie
Bahn der Welle! Das wäre ein schönes Neu-
jahrsgeschenk der Reichsregierung an das deutsche
Volk und der beste Abschluß des Radiojahres
1923. Dr. Fritz Auer.
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Stadtarchiv Troisdorf (29. Dezember 2023). 29. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/vf8k