Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 4. Dezember 1923

Wie wird das Kabinett von Wilhelm Marx arbeiten?

                      Kabinett Marx.
 Ausgleich, Versöhnung, Zusammenarbeit.

Geheimrat Marx.

Man schreibt uns aus politischen (der Christ-
lichen Volkspartei nahestehenden) Kreisen: Ein
Zentrumsmann ist berufen worden, der achttä-
gigen Regierungskrise ein Ende zu bereiten und
an der Reichspolitik zu retten, was daran
noch zu retten ist. Damit soll aber nicht ge-
sagt sein, daß der bisherige Parteiführer Marx
nun alles nach dem Programm und Zuschnitt
seiner Fraktion betreiben wird. Er wird das so
wenig tun, wie sein Vorgänger und künftiger
Mitarbeiter Stresemann im Amte Führer der
Deutschen Volkspartei geblieben ist. Auch vom
Zentrumskanzler Wirth dürfte man sich noch
erinnern, daß er stets bestrebt war, auf dem Sessel
der Regierung den strengen Parteimann abzulegen.
   Bei Wilhelm Marx kommt noch eine be-
sondere Neigung hinzu, den Kreis seiner Politik
unter dem Druck der vaterländischen Not mög-
lichst zu erweitern. Seitdem Marx im Herbst
1921 als Nachfolger Trimborns zum Vorsitzen-
den der Zentrumsfraktion des Reichstages ge-
wählt worden war, entwickelte er in der Oef-
fentlichkeit Gedankengänge, die über die kon-
fessionelle Seite seiner Partei hinaus den allge-
mein politischen Charakter betonen und eine Ver-
breiterung der Politik der Mitte anstreben. Im
mer wieder wies er in seinen Aufrufen als Par-
teivorstand darauf hin, daß das deutsche Volk am
Abgrund stehe und daß mit dem bisherigen zer-
klüfteten Parteiwesen nicht geholfen werden
könne. „Jeder behauptet, das zusammengebro-
chene und zerrüttete Deutschland wieder erneuern
zu wollen. Programmatische Ankündigungen wer-
den zu Schlagworten, wenn nicht endlich Taten
folgen. Der tiefere Grund all dieses Elends liegt
bei den Parteien. Die Vereinfachung und Ver-
einheitlichung unseres Parteiwesens ist eine Le-
bensfrage Deutschlands.“

Marx sprach in allen seinen politischen Reden
von der großen starken Mitte, die den Kern
einer verfassungstreuen Arbeitsgemeinschaft zu
bilden habe. Es war Koalitionspolitik im besten
Sinne des Wortes. Unterstützt wurde Marx
in dieser Tätigkeit besonders von dem Reichs-
arbeitsminister Brauns, der ja auch Mitglied des
neuen Kabinetts sein wird. Brauns schilderte
in einer Reihe bedeutsamer Zei-
tungsartikel „Deutschlands innerpoli
tisches Elend“ und verlangte die Vereinheitlichung
des deutschen Parteiwesens. Entsprechend dem
Vorgehen der Linken des Reichstages habe eine
Arbeitsgemeinschaft, bestehend aus Demokraten,
Zentrum und Deutscher Volkspartei zusammen-
zutreten und die verfassungsmäßige Republik zu
stützen, ohne dem Zentrum eine Verleugnung
seines kulturellen Programms zuzumuten. Was
uns fehlt schrieb Dr. Brauns, ist eine starke
Partei, die durch Zielsetzung, Haltung und Zu-
sammensetzung eint, statt zu trennen, die unter
Anerkennung des Guten der alten Zeit die Ideen
der neuen Zeit verkörpert und insbesondere ge-
eignet ist, die großen sozialen Aufgaben der Ge-
genwart zu meistern, die Ueberbrückung der Klas-
sen- und Standesinteressen zu fördern und den
Zerfall von Volk und Reich zu verhindern. „Fort
mit der Trennung nach Klassen, Ständen und
Konfessionen, her mit der parteipolitischen
Sammlung aller staatsaufbauenden Elemente im
nichtsozialistischen Lager und dann im Verein mit
einer verfassungstreuen sozialistischen Richtung
Bildung einer festen und starken Regierung!“

Das war ganz nach dem Sinn des Reichs-
parteivorstandes Marx gesprochen. Es war der
Gedanke der Kleinen und Großen Koalition, der
dann auf dem harten Boden der Tatsachen aller-
dings ein wechselvolles Schicksal erlebte. Daß
Stresemanns Große Koalition scheiterte, wird
für Marx kein Grund sein, den Versuch eines
neuen Aufbaus zu unterlassen. Bei der vermit-
telnden und versöhnenden Art des Senatspräsi-
denten und Parteivorsitzenden Marx, die stets
auf eine Ausgleichung der Gegensätze hinstrebt,
ist zu erwarten, daß er einen Kurs einhalten
wird, der weder auf der rechten noch auf der
linken Seite zu scharfer Opposition herausfor-
dert. Wenn auch die Sozialdemokratie vorerst
keinem ihrer Angehörigen gestatten will, im Ka-
binett Marx einen Posten anzunehmen, so darf
daraus nicht etwa der Schluß gezogen werden,
daß die sozialdemokratische Fraktion zur Fehde
mit der bürgerlichen Mitte entschlossen wäre.
Gerade das Gegenteil scheint der Fall zu sein und
Reichskanzler Marx wird zum Heile der not-
leidenden inneren Politik seine programmatische
Erklärung für den Reichstag auf Ausgleich, Ver-
söhnung und Zusammenarbeit einrichten.