6. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 6. Dezember 1923

Die Preise sind gefallen.

                   Abbau der Goldpreise.
    Von einem volkswirtschaftlichen Mitarbeiter.

Das neue Ermächtigungsgesetz, das die Re-
gierung Marx dem Reichstag vorlegt, sieht neben
verschiedenen sozialen Maßnahmen für die nächste
Zeit der Winternot auch die Möglichkeit vor, in
die Preisbildung für lebenswichtige Waren ein-
zugreifen. Also den Preisabbau von Amtswegen.
Einige Behörden haben dieser Entwicklung be-
reits vorgearbeitet, indem sie unter Hinweis auf
die Besserung der Mark im Auslande d.h. auf
die Annäherung des bisher höheren Auslands-
Dollar-Kurses an den inländischen Zwangskurs
die Verbilligung der wichtigsten Lebensmittel an-
regen. Tatsächlich sind z.B. in Berlin die Fleisch-
preise schon Ende voriger Woche um 30 bis 40
Proz. gefallen, und auf dem Fettmarkte erwartet
man eine ähnliche Preissenkung.


Wohlgemerkt, es handelt sich um den Ab-
bau der neuen Goldpreissteuerung! Als die Gold-
mark auf dem Kurs von einer Billion Papier-
mark stehen blieb, entdeckte der Verbraucher mit
Entsetzen, daß Goldbasis und Friedenspreise
nicht dasselbe sind. Er mußte wehrlos eine Ueber-
fülle von neuen Preiserhöhungen hinnehmen, die
nicht etwa Angleichung an den Weltmarktpreis
sondern Vervielfachung der Vorkriegspreise be-
deuteten. Der Grund: Das mangelnde Ver-
trauen zum aufkommenden wertbeständigen Geld,
das Mißverhältnis zwischen den deutschen amt-
lichen Kursen und den Effektivkursen, und die
lächerlich geringe Zuteilung von Auslandsdevisen
an die Einfuhrfirmen durch die Reichsbank. Erst
seitdem der Papiermarkkurs im Auslande sich
bessert, zumteil über die vom Währungskom-
missar Dr. Schacht energisch betriebene Anglei-
chung hinaus, wird der Verbraucher sicherer und
der Verkäufer stutzig.

Die amtlichen Drohungen an die Warenbes-
sitzer, die mit der „Anpassung nach unten“ zö-
gern, haben beim Publikum die Erwartung eines
radikalen Preisabbaus und die Ueberzeugung
hervorgerufen, daß die Weigerung des Fabrikan-
ten und Händlers, seine Preisforderung sehr er-
heblich zu ermäßigen, Ausdruck einer sträflichen
und gemeingefährlichen Gewinnsucht sei. Diese
Einstellung und Erbitterung des Verbrauchers
wäre berechtigt, wenn der Erzeuger und Händ-
ler nicht eben leider auch unter dem Druck der
Ungewißheit stände, was der nächste Täg(sic!) auf

dem Währungsgebiete bringt. Täglich zittert die
Geschäftswelt genau so wie die ein-
kaufende Hausfrau vor der dritten Nachmittags-
stunde, in der man erfährt, ob der Dollar stehen
bleibt oder nicht. Soll man sparen? Soll man
drauf los kaufen, um nachmittags nicht entwertetes
Papier in der Hand zu haben? Schließlich
kauft man, und der Händler setzt bei großem
Ansturm automatisch seine Preise hinauf. Hier
steckt ja auch eine Wurzel der Goldpreissteuerung!

Diese Nachkrankheit des Währungsverfalls
hat sich in den letzten 8 Tagen ins Unerträgliche
verschärft, weil ja in Berlin die Regierung fehlte,
die eine Richtlinie für die nächste Zukunft hätte
geben können. Nun haben wir wieder eine Re-
gierung, und es muß etwas geschehen. Seit
dem 15. November ist jede Neuausgabe ungedeck-
ten Papiergeldes streng unterblieben. Ein ge-
wisser Teil der Papiermarkflut ist gegen Renten-
mark in die Kassen der Reichsbank zurückge-
flossen. Diese Verknappung der Papiermark hat
gerade mitgeholfen den Auslandskurs der Mark
der amtlichen Berliner Notierung anzugleichen.
Das Verhältnis 1 Billion – 1 Mark ist ungemein
praktisch und für die durch nutzlose Rechnerei
fast erdrückte Geschäftswelt eine wahre Erlösung

gewesen. Greift das Reichsfinanzministerium
nicht endlich zu, um den Eröffnungskurs festzu-
setzen und das alte Papiergeld aufzukaufen?

Die Bankfirmen wollen jetzt Rentenmark über
den Ladentisch verkaufen, aber nur an ihre stän-
digen Kunden. Zwischen dem 13. und 17. De-
zember werden die Konten der Postscheckämter
auf Rentenmark umgestellt. Es ist die höchste
Zeit, daß die stehen gebliebene Kursregulierung
zur Stabilisierung der Papiermark wird. Denn
erst von diesem festen Punkte aus läßt sich be-
rechnen, was an der Goldpreissteuerung krank-
haft und was heilbar ist. Erst wenn man sicher
weiß, wieviel altes Papier das neue Gold wert
ist, ist der Abbau der Goldpreise möglich.

Stadtarchiv Troisdorf

Wir verstehen uns gleichermaßen als Ort des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, als moderne Dienstleistungseinrichtung sowie als Partner für die regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Für weitere Informationen sowie unsere digitalen Angebote (Archivführung, Ausstellung, Blog, Personenstandsregister, Podcast etc.) besuchen Sie unsere Website.

More Posts - Website

Follow Me:
TwitterFacebookYouTube


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Troisdorf (6. Dezember 2023). 6. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 24. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/ag9o


Über Stadtarchiv Troisdorf

Wir verstehen uns gleichermaßen als Ort des kulturellen Gedächtnisses der Stadt, als moderne Dienstleistungseinrichtung sowie als Partner für die regionalen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Für weitere Informationen sowie unsere digitalen Angebote (Archivführung, Ausstellung, Blog, Personenstandsregister, Podcast etc.) besuchen Sie unsere Website.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.