27. November 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 27. November 1923

Die Finanzreform stehe bevor und soll ohne Aufschub weitergeführt werden. Wären Devisen vorhanden, könnte die Regierung notwendige Lebensmittel einkaufen.

                        Goldpreis-Teuerung.
                Die neue Währungskrankheit.

   Im hohen Wellengang der Reichstagsdebatte
sind die Wirtschafts- und Währungsfragen, an
denen jetzt das deutsche Elend hängt, leider zu
kurz gekommen, obwohl Reichsfinanzminister Dr.
Luther, der am Donnerstag nach dem Kanzler
sprach, ein recht ausführliches Programm vor-
gelegt hatte. Welchen Ausgang die Kabinetts-
krise auch nehmen mag, die Finanzreform muß
ohne Aufschub weitergeführt werden, sonst bricht
mit ihr jede Möglichkeit einer Regierungspolitik
zusammen.


Der Finanzminister versprach u.a., daß die
Regierung mit jedem nur möglichen Mittel gegen
die katastrophale Goldpreis-Teuerung vorgehen
werde, unter der allerneuestens die ganze Volks-
wirtschaft und am meisten wieder die Lohn- und
Gehaltsempfänger zu leiden haben. Wie steht es
damit? Die Preisverhältnisse auf dem Lebens-
mittelmarkt haben in den letzten Tagen geradezu
groteske Formen angenommen, und nur weil das
Publikum sich daran gewöhnt hat, mit astronomi-
schen Zahlen beim kleinsten Einkauf zu rechnen,
kommt ihm nicht voll zum Bewußtsein, daß es
jetzt noch viel fürchterlicher bewuchert und aus-
gepowert wird, als vor der allgemeinen Ein-
führung der Goldpreise. Solange der Dollar-
kurs durch den frommen Betrug der Berliner
Notierung künstlich niedergehalten war, wurden
die Lebensmittelpreise nach dem ausländischen Kur-
sen berechnet. Schon dies war zum Teil scham-
loser Wucher. Jetzt, wo der Dollar in Berlin
dem Auslandskurse angenähert ist, werden die
Preise weit darüber hinaus erhöht! Sie halten
sich jetzt bis auf einem Vielfachen des Friedens-
standes. Sie stehen hoch über den Weltmarkt-
preisen. Deutschland, wo die Ausländer noch
vor kurzer Zeit mit wenigen Pfennigen täglich
herrlich und in Freuden – auf Kosten deutscher
Substanz – leben konnten, ist der teuerste Boden
Europas geworden. Die Ausländer sind wie
ein Heuschreckenschwarm weiter gezogen. Der
deutsche Verbraucher muß die tolle Zeche bezahlen.

Der deutsche Verbraucher fragt unzweifelhaft
warum bei der Goldteuerung nicht die billigeren
Auslandslebensmittel hereinströmen und so als
Konkurrenz ausgleichend auf die Preise wirken?
Man muß ihm antworten: Weil die Devisen-
repartierung der Reichsbank den Kaufleuten nicht
das Geld in die Hand gibt, nur um einigermaßen
ausreichende Käufe im Ausland zu tätigen. Es
ist kein Geheimnis, daß in Holland gewaltige
Mengen von sehr fetten Schweinen auf Ausfuhr
warten. Die Fettausbeute der holländischen
Schweine ist um 80 Prozent höher als die der
deutschen, und diese üppige Auslandsware würde
sich um die Hälfte billiger stellen als das deutsche
Schweinefleisch. Aber es fehlen die Devisen zum
Ankauf. Dieselbe Not dem Gefrierfleisch, das
ein beliebter Ersatz für das unerschwinglich teuere
Frischfleisch geworden ist. Fett, Schmalz, Mar-
garine, Eier sind wahnsinnig überteuert und kom-
men immer spärlicher auf den Markt. Eine
Flut billiger Einfuhr könnte man eröffnen, wenn
man wertbeständiges Geld hätte, das vom Aus-
land genommen wird.
Das führt wieder auf die Währungsfrage.
Die Rentenmark soll neben verschiedenen anderen
Aufgaben auch das ersprießliche Werk verstehen,
die ausgehungerten Großstädte und Industriebe-
zirke mit Lebensmitteln aufzufüttern. Bis jetzt
ist kaum ein Ansatz zu solchem Erfolg zu be-
merken. Aber das eine ist bereits klar ge-
worden: Hätte man statt dieser verzwickten Zwi-
schenlösung der Rentenmark den mutigen Ver-
such einer neuen wirklichen Goldwährung ge-
macht, so wären heute schon die deutschen Lebens-
mittelläden mit preiswerter, ja billiger Ware
vollauf versehen, und die Goldpreisteuerung, diese
neueste Valutakrankheit wäre nicht ausgebrochen.
Nun heißt es wieder retten und heilen. Die durch
den Tod ihres Präsidenten Havenstein verwaiste
Reichsbank scheint zurzeit unter einem Unglücks-
stern zu stehen. Siehe das Bürokratenstückchen
der Notgeldverweigerung (Notgeld wird von der
Reichsbank aus „technischen Gründen“ nicht
in Zahlung genommen). Wir haben einen
Währungskommissar, der helfen könnte, weil er
etwas von der Sache versteht. Aber warum
macht man den Dr. Hjalmar Schacht oder einen
ihm ebenbürtigen Könner nicht zum Währungs-
diktator?                     Dr. rer. pol. Fritz Auer.

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Stadtarchiv Troisdorf (27. November 2023). 27. November 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/ag8j


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