16. November 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 16. November 1923

Am Donnerstag werde die Rentenmark herausgegeben. Dass der Streik der Berliner Buchdrucker allein Schuld daran trage, dass noch nicht genug Banknoten vorliegen, klinge nach einer Ausrede von Seiten der Regierung. Unter anderem am neuen Währungskommissar Hjalmar Schacht sei es nun, das deutsche Geld endlich zu stabilisieren.

                Heute Rentenmark?
                Vorerst – Notgeld . . .

   Am heutigen Donnerstag soll die Rentenmark
herausgebracht werden. Aber es wird keine unge-
trübte Freude sein. Die amtlichen Stellen, die
bisher schon eine Vertröstung nach der anderen in
die vielgeduldige Oeffentlichkeit schickten, haben
dem Ansturm vorgebaut, indem sie verkünden
ließen, bei den Lohnzahlungen des Reiches in
dieser Woche werde die Quelle der Wertbeständig-
keit noch lange nicht in der gewünschten Fülle
fließen. Auch bei den folgenden Zahlungen des
Reiches, der Länder und Gemeinden an Beamte,
Angestellte und Arbeiter müßten wohl noch Un-
regelmäßigkeiten in Kauf genommen werden. Und
das Bedauerlichste und Gefährlichste: Die Er-
werbslosen und die Sozialrentner bekämen bei
dem Mangel an Kleinstückelung vorläufig nur
erst wieder Papiermark.

Was ist schuld an der neuen Verzögerung?
Die Regierung sagt:  Der Berliner Buchdrucker-
streik. Nun ist richtig, daß der Buchdruckerstreik
vor allem die Notendruckereien getroffen hat (und
nach dem Willen Linksradikaler auch treffen
sollte). Die Buchdrucker und Hilfsarbeiter der
privaten Notendruckereien, die auf das Seecktsche
Streikverbot hin, wieder an ihren Arbeitsstätten
erschienen waren, verkrümelten sich allmählich
wieder nachhause. Die Drohungen der Streik-
posten erschienen ihnen offenbar noch bedenklicher
als die des Diktaturgenerals. Aus der Reichs-
druckerei, die vom Berliner Polizeipräsidenten
nicht genügend durch Schupo geschützt wurde,
holten die kommunistischen „Räumungskomman-
dos” zwei Drittel der Arbeitswilligen wieder
heraus. Man will nun Arbeitswillige aus an-
deren Betrieben heranholen, um so viel Noten
herzustellen, daß die Lohnzahlungen gesichert sind.
Aber der aufmerksame Beobachter wird das Ge-
fühl nicht los, daß das Publikum hier wieder
einmal eine der vielen Ausreden zu schlucken be-
kommt, mit denen es in der Währungsfrage nun
schon seit einigen Wochen abgespeist wird.

War es wirklich so schwer; die paar Hundert
Millionen Rentenmark und Goldanleihestücke zu
drucken mit einem Riesenapparat: der in der-
selben Zeit das tausend- und millionenfache an
alter Papiermark ausgespieen hat? Liegen nicht
vielmehr, jedenfalls in der Angelegenheit der
Rentenmark, ganz andere Schwierigkeiten vor,
die man nur nicht öffentlich eingestehen will?
Des Rätsels Lösung scheint die neue Notgeldver-
ordnung des Generals v. Seeckt zu bringen. Sie
berechtigt die Länder, Provinzen und Kommunen
wertbeständiges Geld unter den bekanntgegebenen
Deckungsbedingungen herauszugeben, als Ersatz
für die immer noch nicht erschienene Rentenmark!
Denn begründet wird die Notverordnung mit
„der Tatsache, daß der erste Frost gefallen ist,
ohne daß mit der Abfuhr der Ernte wesentliche
Fortschritte erzielt sind”. Das heißt nichts an-
deres als: Auch der Bauer traut der Renten-
mark noch nicht. Er weiß ganz genau, daß der
Anspruch auf eine Rente den Anspruch auf Gold
nicht ersetzt, Er zögert mit der Abfuhr der
Ernte, weil er fürchtet, nun doch wieder Papier-
fetzen dafür zu bekommen, deren angeblicher Gold-
wert seinem nüchternen Auge nicht greifbar ge-
nug erscheint. (Der Bauer ist in seinem prakti-
schen Denken über Gold und Goldeswert dem
akademischen Währungspolitiker stets über ge-
wesen).

In dieser Zwickmühle greift die Regierung
zum Auskunftsmittel eines neuen Notgeldes,
weil sie nun ebenfalls in ihrem Glauben an den
durchschlagenden Erfolg der Rentenmark wankend
geworden ist. In dieser Not hat die Regierung ja
den „reinen Goldpolitiker” Dr. Hjalmar Schacht
den Geschäftsinhaber der Darmstädter National-
bank zum Währungskommissar ernannt. „Möge
man endlich den Mut finden, sofort die reine
Goldbank in Verbindung mit der Reichsbank
ins Leben zu rufen. Das erforderliche Goldkapi
tal dafür aufzubringen, ist keine Unmöglichkeit”.
So schrieb Dr. Schacht, als das Helfferich’sche
Problem der „Zwischenlösung” in Angriff ge-
nommen wurde. Nun ist aber unterdessen das
Unglück der Rentenbank geschehen. Der Pfeil
fliegt bereits. Wird ihn der neue Währungs-
kommissar zum Guten lenken? Zwischen all den
politischen Wirren und Schlägen darf wenig-
stens die eine wirtschaftliche Hoffnung dieser
schrecklichen Tage nicht sinken: Die Hoffnung
auf die Gesundung des deutschen Geldes.
                 Dr. rer. pol. Fritz Auer.

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Stadtarchiv Troisdorf (16. November 2023). 16. November 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/ag6y


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