Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 11. November 1923

Das Blatt berichtet ausführlich über die Einzelheiten der Vorgänge im Bürgerbräukeller in München. Der Putsch ist gescheitert. Ludendorff und Hitler verhaftet.

    Zum Putschzusammenbruch in München.

           Eine amtliche Mitteilung
              über den Hitlerputsch.

   Wtb. München, 9. Nov. Die Korrespondenz
Hoffmann veröffentlicht eine amtliche Mitteilung über
den Hitlerputsch. Darin wird festgestellt, daß in
den letzten Wochen Hitler in Besprechungen mit
General v. Lossow und Oberst v. Sessier [Seisser] wiederholt
zugesichert habe, daß er loyal sei und nichts unterneh-
men werde, ohne die Genannten in Kenntnis gesetzt
zu haben. Ludendorff habe gegenüber v. Lossow
und Seisser ebenfalls feierlich Loyalität zugesichert.
Am 6. November nachmittags erklärte der General-
staatskommissar vor den Führern der Vaterländi-
schen Verbände und des Kampfbundes, daß er densel-
ben Zielen, wie die Vaterländischen Verbände, zu-
strebe. Dabei wurden die Führer vor Putschen ge-
warnt mit dem Hinweis, daß dagegen militärisch ein-
gegriffen werde. Am 8. November nachmittags fand
eine Besprechung zwischen v. Kahr, Ludendorff, Los-
sow und Seisser statt, wobei Einheitlichkeit inbe-
zug auf die Ziele festgestellt wurde. Abends er-
folgte in der Versammlung im Bürgerbräukeller
während der Rede v. Kahrs ein verbrecherischer
Ueberfall durch Hitler mit einem stark bewaffneten
Anhang, wobei v. Kahr, v. Lossow und Seisser mit
vorgehaltener Pistole gezwungen wurden, an der
Verwirklichung der Durchführung einer Reichsdik-
tatur Ludendorff-Hitler mitzutun. Kahr, Lossow,
Seisser gaben, wie die genannte Korrespondenz aus-
führt, die ihnen erpreßte Erklärung ab, weil sie über-
zeugt waren, nur in einem einheitlichen Zusammen-
gehen noch die Möglichkeit der Aufrechterhaltung
der bayerischen Staatsautorität gegeben war. Die
Genannten gaben scheinbar ihre Zustimmung, um
ihre Handlungsfreiheit wieder zu gewinnen. Das
Publikum war über die in einem andern Raum vor-
gegangene Vergewaltigung nicht unterrichtet und nahm
deshalb die spätern gewaltsamen Erklärungen mit
einer gewissen Befriedigung auf, da es an eine frei-
willige Einwilligung glaubte. Hierauf wurden im
Saal mehrere Personen, darunter die Minister v.
Knilling, Schweyer, Kürtner und Wutzlhofer von
Nationalsozialisten festgenommen. Hitler machte hier-
nach die bekannten Mitteilungen über die neue Regie-
rung. Darauf gab v. Kahr eine Erklärung ab, wo-
rin er sagte, er übernehme als Statthalter der
Monarchie schweren Herzens die Leitung der Staats-
geschäfte, wie er hoffe, zum Segen der bayerischen
Heimat. Auch v. Lossow und Seisser gaben Erklä-
rungen ab, die dem Bestreben entsprangen, ihre
Handlungsfreiheit wiederzugewinnen. Sie benutzten
diese, um in der Kaserne des 19. Infanterieregiments
die Regierungsgewalt wieder in die Hand zu nehmen
und Truppen und Polizeiwehr zu mobilisieren. An
alle Funkstationen wurde ein Telegramm gesandt,
worin festgestellt wurde, daß Kahr, Lossow und Seis-
ser den Putsch ablehnen und daß ihre Stellungnahme
mit Waffengewalt erpreßt worden sei. Dies geschah
in den ersten Nachtstunden des 9. Novembers. Früh
wurde von Kahr ein Aufruf erlassen, worin erklärt
wird, Trug und Wortbruch ehrgeiziger Gesellen hät-
ten aus einer Kundgebung für Deutschlands natio-
nales Wiedererwachen eine Szene widerwärtiger Ver-
gewaltigung gemacht, und worin gesagt wird, daß die
erpreßten Erklärungen nichtig seien. Ferner wird
mitgeteilt, daß die Schuldigen rücksichtslos der ver-
dienten Strafe zugeführt und die Nationalsozialisti-
sche Arbeiterpartei sowie die Bünde Oberland und
Reichsflagge aufgelöst werden.

                            Die Vorgänge
                  im Bürgerbräukeller.

   Wtb. München, 9. Nov. Zu den Vorgängen
im Bürgerbräukeller erfahren wir noch folgende Ein-
zelheiten: Der Staatskommissar v. Kahr hatte un-
gefähr ¾ Stunden gesprochen. Um 8,45 Uhr ent-
stand am Eingang des Saales eine große Unruhe
Aus dem Menschengewühl heraus sah man Hitler,
eskortiert von zwei schwer bewaffneten National-
sozialisten in den Saal eindringen, die mit hoch erho-
benen Revolvern Ruhe verlangten. Als sich die
Ruhe nicht einstellte, gaben die beiden Nationalso-
zialisten Revolverschüsse gegen die Decke ab. Hitler
rief sodann mit starker Stimme in den Saal: Die
Sache geht nicht gegen Kahr. Darauf wollte sich
die Unruhe immer noch nicht legen. Nun trat
der frühere Polizeipräsident Pöhner hervor und er-
klärte: „Bleiben Sie doch ruhig sitzen. Kahr und
Hitler sind zwei deutsche Männer“. Sodann ver-
schaffte sich Hitler selbst Ruhe. Nunmehr trat ein
Stabsoffizier der Hitlertruppen vor die Versammelten
und machte folgende Erklärungen: „Heute beginnt
die nation. Revolution. Sie richtet sich in keiner Form
gegen den von uns allen hochverehrten General-
staatskommissar v. Kahr. Sie richtet sich ausschließ-
lich gegen die Berliner Judenregierung (Stürmischer
Jubel). Wir haben diesen Schritt gemacht, weil wir
der Ueberzeugung sind, daß Männer an der Spitze
stehen, von denen uns ein starker Trennungsstrich
scheiden muß. – Die neue Regierung Hitler-Lu-
dendorf- Pöhner − sie lebe hoch!“ Im Saal folgte
den Ausführungen stürmischer Beifall. Die Ver-
sammlung sang hierauf das Deutschland-Lied. So-
dann erschien Hitler vor den Versammelten. Nachdem
er sich durch einen Revolverschuß Ruhe verschafft
hatte, führte er aus: Heute vor fünf Jahren hat
die größte Schandtat begonnen, die unser Volk ins
maßlose Elend gestürzt hat. Heute nach fünf Ja-
ren muß der Tag sein, da sich die Geschichte wenden
wird. (Stürmisches Bravo). Ich schlage folgendes
vor: Das Kabinett Knilling ist abgesetzt. (Bravo)
Eine bayerische Regierung wird gebildet aus einem
Landesverweser und einem mit diktatorischen Voll-
machten ausgestatteten Ministerpräsidenten. Ich
schlage als Landesverweser v. Kahr und weiter als
Ministerpräsidenten Pöhner vor. Die Regierung
der Novemberverbrecher in Berlin wird für abgesetzt
erklärt ebenso Ebert. Die deutschnationale Reichsre-
gierung wird in Bayern, oder in München, gebildet.
Es wird weiter gebildet sofort eine deutsche nationale
Armee. Ich schlage vor, daß bis zur Niederwerfung
der Verträge, die heute Deutschland zugrunde rich-
ten, die Leitung der Politik dieser provisorischen Re-
gierung ich übernehme. Ludendorff übernimmt die
Leitung der deutschen nationalen Armee, General v.
Lossow wird deutscher Reichswehrminister, der Oberst
v. Seisser deutscher Reichspolizeiminister. Die Auf-
gabe der provisorischen deutschen nationalen Regie-
rung ist, die ganze Kraft für das Land und für das
Reich einzusetzen und den Marsch anzutreten gegen
das Sündenbabel Berlin. Ich frage Sie nun, ob
Sie mit dieser Lösung einverstanden sind. Den
Ausführungen Hitlers folgte unbeschreiblicher Ju-
bel.− Sie sehen, was uns hier leitet, ist nicht Ei-
genbrödelei, sondern Kampf, den wir aufnehmen in
der 12. Stunde. Es gilt für unser deutsches Vater-
land. Aufbauen wollen wir einen Bundesstaat völ-
kischer Art, in dem Bayern eine Stelle einnehmen
soll, die ihm gebührt. Ich bitte Sie, sich ruhig im
Saal zu verhalten. Der Bürgerbräusaal ist mit
sechs Hundertschaften Nationalsozialisten umzingelt.
Der morgige Tag findet entweder in Deutschland
eine nationale Regierung, oder uns tot. Es gilt
nur eins von Beiden. Die für die Regierung vor-
geschlagenen Männer entfernten sich darauf aus dem
Saal und berieten eine gute halbe Stunde in einem
Nebenlokal. Ludendorff, der nicht anwesend war,
wurde herbeigeholt und war dann auch bei diesen
Beratungen zugegen. Stürmisch begrüßt traten dann
die neuen Regierungsmänner in den Saal. Zu-
nächst gab der Generalstaatskommissar v. Kahr eine
Erklärung ab, daß er die Leitung der Geschicke Bay-
erns übernehme und sich als Statthalter der Mo-
narchie betrachte. (Stürmischer Beifall), derjenigen
Monarchie, die vor fünf Jahren von Verbrechern
zerschlagen wurde. Er übernehme sein Amt in der
Hoffnung, daß er zum Segen der geliebten bayeri-
schen Heimat und des großen deutschen Vaterlandes
wirken könne. Unter brausendem Jubel reichte Hit-
ler Kahr die Hand und sprach ihm darauf den
Dank für die Uebernahme des Postens aus. Ebenso
erklärten sich die anderen vorgeschlagenen Männer
für die Uebernahme ihrer Aemter bereit. Hitler
teilte weiter mit, daß zugleich die provisorische Re-
gierung gebildet sei.   

   Zum Zusammenbruch des Münchener Putsches.

Pm. Berlin, 10. Nov. Nach einer Mittei-
lung des Vorwärts soll der Münchener Putsch in
erster Linie auf den Geldmangel innerhalb der na-
tionalsozialistischen Bewegung zurückzuführen sein. Im
Verlauf einer Sitzung der Hitlerschen Kampfverbände
in München, auf der der Putsch beschlossen wurde,
sei wiederholt auf die Einstellung der Geldlieferung
durch die bayerische Industrie Bezug genommen wor-
den. Auch habe der Sitzung eine Beschwerde der
Ehrhardtbrigade vorgelegen, wonach diese zurzeit völ-
lig mittellos und auf Requisitionen angewiesen sei.
Wtb. Berlin, 9. Nov. Anläßlich der Umsturz-
bewegung in München sah sich die Reichsverkehrs-
verwaltung veranlaßt, eine Sperre im Eisenbahnver-
kehr mit dem bayerischen Gebiet in der letzten Nacht
auszusprechen. Nach Klärung der Verhältnisse in
München konnte die Verkehrssperre heute nachmittag
wieder aufgehoben werden, so daß die Abwickelung
des Personen- und Güterverkehrs keine Hindernisse
mehr im Wege stehen.
   Wtb. Berlin, 9. Nov. Der Inhaber der voll-
ziehenden Gewalt, General der Infanterie v. Seckt,
erläßt folgende Verordnung: Das vom Reichswehr-
ministerium am 9. November ausgesprochene Verbot
der Verbreitung amtlich nicht geprüfter Nachrichten
über die Münchener Ereignisse wird hiermit aufge-
hoben. Gez. Gez. v. Seeckt.

Ruhe in ganz Bayern.

   Pm. München, 10. Nov. Die Blätter mel-
den übereinstimmend, daß in ganz Bayern die Ruhe
wieder völlig hergestellt ist. Nach einer Meldung
des Tageblattes sei außer in München auch in Augs-
burg von den Nationalsozialisten eine Aktion ver-
sucht worden. Die Nationalsozialisten seien jedoch
von der Landespolizei verhaftet und entwaffnet wor-
den. Auch in Nürnberg sind gestern morgen bewaff-
nete Nationalsozialisten von der Landespolizei ent-
waffnet worden.

Ludendorff und Hitler festgenommen.

   Berlin, 9. Nov. (Amtlich). Das Gebäude
des Wehrkreiskommandanten in München wurde heu-
te nachmittag von der Reichswehr nach Kampf ge-
nommen. Auf beiden Seiten sind Geringverletzte zu
verzeichnen. Ludendorff und Hitler wurden festge-
nommen.

                    Hitler entkommen?

Wtb. München, 9. Nov. Nach weitern Nach-
richten befinden sich der General Ludendorff, Haupt-
mann Römer, der Führer des Bundes Oberland,
und die andern Führer der Nationalsozialisten in
Schutzhaft. Dagegen soll nach neuern Meldungen
Hitler entkommen sein, er ist aber verwundet. An
Verlusten sind bei der Reichswehr zu verzeichnen zwei
Leichtverwundete, bei der Schutzpolizei etwa sechs
bis sieben Verwundete und einige Tote. Im gan-
zen dürften auf beiden Seiten acht bis zehn Perso-
nen getötet worden sein. In München herrschte
heute abend vollständige Ruhe. Reichswehr und
Schutzpolizei sind durchaus Herr der Lage.

Die Londoner Presse über den schmählichen
                Zusammenbruch in München.

   Wtb. London, 9. Nov. Die Abendblätter
veröffentlichen in Sperrdruck die Berliner Meldun-
gen über den „schmählichen Zusammenbruch“ des
Münchener Putsches und heben hervor, daß die
loyale Haltung der Reichswehr diese Entscheidung
herbeigeführt hat. – Evening Standard schreibt in
einem Leitartikel: Frankreich hat gerade die Lage
in Deutschland herbeigeführt, gegen die es nachdrück-
lich Garantien gefordert hat. Als französische Trup-
pen ins Ruhrgebiet einmarschierten, riefen sie im nicht-
besetzten Deutschland Strömungen hervor, die zum
Vorteile Ludendorffs und der Militaristen gewirkt
haben und es kann wohl sein, daß einsichtige Fran-
zosen jetzt entsetzt über die Folgen der Politik Poin-
cares sind. Star schreibt: Nachdem Frankreich
alles getan habe, was menschenmöglich war, um
Schwierigkeiten in Deutschland hervorzurufen, sähe
es zu spät ein, daß diese Schwierigkeiten aus der
Hand geraten könnten.