Quelle: Kreisarchiv Euskirchen, Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend (Amtliches Kreisblatt) vom 3. November 1923

Zusammenfassung der Lage im Rheinland

Die Lage im Rheinland
Aachen, 26. Okt. In der Nacht sind 39
Schupobeamte und 19 Studenten ins belgische
Gefängnis eingeliefert worden. Die Zeitungen
erscheinen heute nicht. Sie wenden sich mit fol-
gender Bekanntmachung an die Leserschaft: Da
unter den neuerdings obwaltenden Verhältnissen
die objektive Berichterstattung der Presse unter-
bunden und ihre freie Meinungsäußerung un-
möglich gemacht ist, sehen sich die Aachener Zeitungen
veranlaßt, ihr Erscheinen bis auf weiteres ein-
zustellen.
Köln, 25. Okt.  Aus den Meldungen der hie-
sigen Telegraphen-Bureaus kann man folgenden
Situationsbericht entnehmen:

In Mainz ist der Belagerungszustand und
Verkehrssperre verhängt. Bis nachmittags ist es
zu Zwischenfällen nicht gekommen. Die öffentlichen
Gebäude sind von Separatisten frei. Ihre Flagge
ist verschwunden, ohne daß ermittelt werden kann,
von wem sie entfernt worden ist. Dennoch wird
angenommen, daß sich Separatisten im Regierungs-
gebäude befinden. Im Laufe des Nachmittags
kam es zu großem Ansammlungen der erregten
Menge, da das Gerücht umlief. Die Separatisten
sollten unter militärischem Schutz abziehen. Die
Lage ist ernst.
In Wiesbaden nimmt die Säuberungsaktion
ihren Fortgang. An einzelnen Stellen haben die
Sonderbündler ihr Heil in der Flucht gesucht.
Der sonderbündlerische Regierungspräsident, Rechts-
Anwalt Rody, wurde von der erregten Menge
verprügelt. In verschiedenen Straßen kam es im
Laufe des Tages zu Schießerei. Blaue Polizei
und französisches Militär versehen den Ordnungs-
dienst.
In Trier sind die Sonderbündler Herren der
Lage. Das Regierungsgebäude ist von ihnen be-
setzt. Die Zeitungsbetriebe wurden von ihnen
demoliert. Die Bürgerschaft hält sich nach wie
vor ablehnend. Die Sonderbündler sind bewaff-
net, während die deutsche Polizei die Waffen ab-
geben mußte.
In Koblenz ist die Lage unverändert. Man
erwartet neue Vorstöße der Separatisten. Der
Oberbürgermeister sowie vierzig Verwaltungsbeamte
wurden ausgewießen.
In Düsseldorf sollen nach einer Meldung der EU
die Separatisten beim Sturm auf das
Rathaus zurückschlagen sein. Nach anderen Be-
richten – und diese Meldung scheint nach allem
zutreffender – ist in Düsseldorf, nachdem die
Parteien vom General die Zusicherung erhalten
haben, jeder Unruhe entgegentreten zu wollen,
alles ruhig.
In Düren ist ebenfalls die Lage unverändert.
Französische Tanks durchfahren die Straßen.
Dagegen wurde auf dem Rathaus in Remagen
die Sonderbündlerfahne gehißt. Auch hier hat sich
eine französische Sicherheitsmasche nahe dem Rat-
haus eingerichtet.
Auch in Ahrweiler und Neuenahr ist es
zu Separatistenputschen gekommen.
In M.=Gladbach ist die Lage ruhig, doch
muß mit einem Angriff der Sonderbündler von
Krefeld her gerechnet werden.
Zu ernsten Kämpfen kam es in Krefeld.
Hier wurde das Rathaus von den Sonderbündlern
nach einer Belagerung erstürmt, nachdem der Polizei
sie Munition und Lebensmittel ausgegangen
waren. Zwischen den Sonderbündlern und der
Stadtverwaltung haben Verhandlungen stattge-
funden, jedoch ohne Ergebnis.  In einer Presse-
versammlung sollen den Zeitungen von den
Sonderbündlern Richtlinien zu ihrer Stellung-
nahme gegeben werden. Ein Aufruf der Separa-
tisten ist von einem früheren Städtischen Polizei=
beamten namens Krahe unterzeichnet. Zwei
Zivilisten find erschossen worden.