19. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 19. Dezember 1923

Gedanken zu Weihnachten 1923, vermeintlich von einem 9 Jahre alten Mitglied der Kommunistischen Kindergruppe Solingen

                         Traurige Weihnacht!
Von Rud. Sch. (9 Jahre alt), Mitglied der Kommunistischen Kinder-
                             gruppe Solingen.)
   Besonders im Jahr 1923 müssen die Frauen die hohen Preise im
Kopf haben. Jetzt kommt der Weihnachtstag. Aber in diesem Jahr
kann man nicht sagen „Fröhliche Weihnacht“, sondern Traurige
Weihnacht! Im Jahre 1921 rechnete man noch mit Pfennigen.
dagegen heute mit Milliarden, Billionen. Und bei hohen Preisen
gibts einen niedrigen Lohn. Und da soll man sogar noch Feste feiern!
Für das Geld, wovon die Menschen Feste feiern, kaufen sie lieber
Brot.   Die Proleten haben natürlich keinen fröhlichen Tag. Des Mor-
gens geben sie um 8 Uhr zur Arbeit, um 6 Uhr, wenn es schon ganz
dunkel ist, kommen sie erst raus. Wenn die Frau aus der Fabrik
kommt, muß sie meistens noch nähen, sauber machen usw. Wenn sie
das gemacht hat, liest sie die Zeitung, so geht es von Tag zu Tag
immer so weiter.
  Die Kinder müssen in die Schule, da müssen sie lernen. Die Pro-
letarierkinder sind vielfach zu schwach, können nicht denken, sie
werden mit dem Stock geprügelt, auf die Finger geschlagen usw. Das
müssen die Proletarierkinder alles aushalten. Sie müssen nachsitzen
von 1 bis 2 Uhr. Freuen sich denn da die Kinder über ihr Leben?
   Die Eltern haben auch kein Geld, die Kinder in einen Unterricht
zu bringen, wo sie noch was nebenbei lernen. Wenn das Kind aus
der Schule kommt, muß es Schularbeiten machen, da braucht es 3—4
Stunden für. Dann geht es einkaufen bis am Abend. So lebt das
Proletarierkind ohne Freude.
   Was wir fordern? Daß die Armut ein Ende hat. Ihr
Proletarierschüler, ihr werdet so geschlagen, und darum müßt ihr um
weltliche Schulen streiten. Damit die Armut des Proletariats ein
Ende nimmt, seid Kommunisten! Kommunisten wollen nicht, daß sich
die alten Frauen mit Holz schleppen, der andere im Auto sitzt und sich
lustig macht. Sondern, daß alle Menschen arbeiten und nicht nur
die Proletarier 10—12 Stunden und die Reichen keine. Alle
Menschen auf Erden wenig Arbeit und für die Arbeit
kein Geld, sondern Lebensmittel, aber nicht für die wenigsten so
viel, daß sie sie nicht aufkriegen, sondern daß sie grade mit auskom-
men. Wenn das so ist, ist die Kommune erstanden.
   Hoch lebe die KP.!


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (19. Dezember 2023). 19. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 15. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/vf7o


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.