12. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 12. Dezember 1923

Gute Nachrichten zur aktuellen Kartoffelversorgung von Solingen. Trotzdem kritisiert die „Bergische Arbeiterstimme“ die Stadtverwaltung dezent wegen deren Maßnahmen.

                              Solingen
            Die städtische Kartoffelversorgung
ist in diesem Jahre wohl als eine gute zu bezeichnen, wenigstens
insofern die Herbeischaffung genügender Mengen in Frage kommt.
Wir haben ja erst kürzlich unsern Lesern davon Mittetilung [sic!] gemacht,
daß auf einmal mindestens 20 Waggons Kartoffeln für die Stadt
Solingen angerollt seien.  Soweit so gu[sic!. Ueberhaupt können wir dem Lebensmittelamt
nachsagen, daß es selbst in der äußerst kritischen Zeit nach besten
Kräften Sorge getragen hat, daß die hiesige Bevölkerung ziemlich
regelmäßig mit Kartoffeln versorgt wurde. Das wird auch seitens
der Einwohnerschaft gern anerkannt.
   Was nun aber die „Verteilung“ der oben erwähnten Ein-
kellerungskartoffeln anbelangt, sowie deren Lagerung, so haben
wir dazu doch einiges zu sagen. Und das um so mehr, als man
sich in der Stadt darüber sehr lebhaft unterhält. Vor allen Dingen
ist man in Erwerbslosenkreisen nicht mit Unrecht aufs heftigste em-
pört, daß die großen Mengen Kartoffeln nicht wenigstens zum Teil
an die Minderbemittelten, also auch an die Erwerbslosen, abge
geben worden sind. Das ist unseres Wissens nicht geschehen, weil
das Lebensmittelamt mit dem Arbeitsamt keine Einigung erzielen
konnte. Das Schlimmste jedoch dabei ist, daß eben infolge der tage-
langen Auseinandersetzungen der beteiligten Aemter und Körper-
schaften die Abfuhr der Kartoffeln vom Bahnhof verzögert worden
sein soll, bis der Frost nicht geringen Schaden angerichtet hat. So
wenigstens lauteten die Gerüchte, die die Stadt durchschwirrten. Uns
war das schier unverständlich, zumal wir in dieser Beziehung mit
der Stadtverwaltung bereits im vorigen Jahre eine heftige Preß
polemik geführt haben. Um nun allen Redereien endlich auf den
Grund zu gehen, entschloß sich der Kontrollausschuß gestern
durch zwei seiner Mitglieder eine eingehende Prüfung der Lage-
rungsstätten vornehmen zu lassen. Darüber können wir heute fol-
gendes mitteilen:
   Die im Grashofkeller lagernden Kartoffeln sind ziemlich
feucht, und wäre es wohl am besten, wenn dieselben so schnell wie
möglich an die Bedürftigen abgegeben würden, ehe
größerer Schaden entsteht. — In den beiden Kellerräumen der
Schule Burgstraße befinden sich ebenfalls größere Mengen
Kartoffeln, deren größter Teil sich in sehr gutem Zustande be-
findet. In einem Keller daselbst ist jedoch unter den Knollen be-
reits starke Fäulnis festgestellt worden, so daß die Verwaltung
gerade hier die allergrößte Sorgfalt obwalten lassen sollte
zumal ja doch schon einige Waggons als Viehfutter abgestoßen
werden mußten. Diese Sendung soll allerdings bereits als fast voll-
ständig verdorben angerollt sein. Ferner sind noch ungeheure Quanti-
täten von Kartoffeln untergebracht in den besteingerichteten Lager-
räumen der Großhändler Borberg u. Nobel, Höhmann
Birkerstraße, Thiel, Rathausstr., sowie in der alten Brauerei
auf der Sonnenstraße hierselbst. Ueberall hier sind diese wichtigen
Lebensmittel so untergebracht, daß wohl kaum die Gefahr des Ver-
derbens derselben besteht. Das dürfte man auch schon ohne weiteres
annehmen, da die Kartoffelhändler in der Behandlung der Ware
doch jahrelange Erfahrung besitzen. Immerhin aber machen wir
trotzem auf eventuelle Gefahren aufmerksam, die sehr leicht entstehen
könnten infolge der hohen Aufschichtung.
   Wie uns der Kontrollausschuß berichtet, hält auch er es für das
Beste, wenn die oben näher bezeichneten Mengen Kartoffeln schleu-
nigst an die Erwerbslosen und sonstigen Bedürf-
tigen abgegeben werden. Man befolge also diesen gewiß dringenden
Wunsch, zumal doch die Not in jenen Kreisen so überaus
groß ist. Besser doch ein kleiner Schaden als ein unübersehbarer
und dazu dann auch schließlich noch die unausbleibliche Kritik und
allgemeine Aergernis!.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (12. Dezember 2023). 12. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 11. November 2025 von https://doi.org/10.58079/ag2o


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