7. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 7. Dezember 1923

Fragwürdige Verteilung von Lebensmittelspenden in Solingen

                Wie die Solinger Lebensmittelhändler
                    den Erwerbslosen helfen wollen.
   Seit einigen Wochen ist die Reichsregierung ernstlich bemüht,
die Erwerbslosenunterstützung immer mehr und mehr abzubauen,
was zur Folge hat, daß die Erwerbslosen mit der Zeit zu
Bettlern geworden und zur Selbsthilfe gezwungen sind.
Da die Ausführung der Selbsthilfe nun zu Dingen geführt hat, die
man als anständiger Proletarier verwerfen muß, sah sich der Er-
werbslosenrat veranlaßt, diesen Dingen vorzubeugen, indem er in
der Presse darauf hinwies, daß die wilden Sammlungen unter-
bunden würden, wenn die Geschäftsleute der Lebensmittelbranche
eine geschlossene Sammelaktion vornehmen und den Ertrag derselben
dem Erwerbslosenrat Solingen zur weiteren Verteilung überweisen
würden.
   Auf Grund dieses Aufrufes erhielt der Erwerbslosenrat durch den
Vorsitzenden der Lebensmittelvereinigung die Mitteilung, daß bereits
ein großer Teil der vorhandenen Lebensmittel verabgabt worden sei
und zwar an das Wohlfahrtsamt Solingen, wovon aber auch ein-
zelne andere Korporationen (14 Frauenvereine) etwas zur Ver-
teilung erhalten würden. Den Erwerbslosen sollten 60 Prozent der
gesammelten Lebensmittel zufallen. Bei Regelung dieser Sache mit
dem Wohlfahrtsamt stellte sich folgendes heraus: Vierfünftel der
vorhandenen Lebensmittel sind den vaterländischen und christlichen
Frauenvereinen und von dem letzten Fünftel ganze 60
Prozent den Erwerbslosen zugewiesen worden.
   Da es nun wohl jedem einleuchten muß, daß es dem Erwerbs-
losenrat unmöglich ist, ein derartig geringes Quantum an 16 000
unterstützungsberechtigte Personen der Erwerbslosenfürsorge zu ver-
teilen, ohne dabei Gefahr zu laufen, durch die geringe Zuteilung
Mißstimmung unter den Erwerbslosen hervorzurufen, die sich letzten
Endes doch nur gegen die Lebensmittelgeschäfte auswirken würde,
hat sich der Erwerbslosenrat veranlaßt gefühlt, die Zuteilung des ge-
ringen Teiles der Sammlung dankend abzulehnen und zu-
gunsten des Wohlfahrtsamtes zu verzichten.
   Wir hätten nun den Solinger Lebensmittelhändlern mehr Kennt-
nisse in bezug der augenblicklichen Verhältnisse zugetraut, weil man
doch davon unterrichtet sein muß, daß die Ziffer der Erwerbslosen
ein Drittel der gesamten Bevölkerung aufweist. Trotzdem aber
herzlichen Dank!


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (7. Dezember 2023). 7. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 22. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/ag2f


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