Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 6. Dezember 1923

Eine Übersicht über Hungerplünderungen und Erwerbslosendemonstrationen in Köln, Elberfeld, Lennep und Remscheid.

             Hunger, Plünderungen und
                       Demonstrationen.
   Es scheint eine neue Welle von Hungerrevolten
im Anzuge zu sein. Die Unterstützung, die an die Erwerbs-
losen ausgezahlt wird wird allerorten geringer und geringer.
Man verdammt die Erwerbslosen zum Hungertode. Ist es ein
Wunder, wenn die zum Verrecken Verurteilten die Fäuste nicht
in den Taschen lassen?   Es liegen Meldungen aus Köln vor, wonach es im Laufe
des Mittwoch an vielen Stellen zu Massenansammlungen
Hungernder und zu Plünderungen gekommen ist. Die Polizei
trat den anmarschierenden Hungerzügen entgegen und ver-
suchte, sie auseinanderzutreiben. Die Polizei griff auf die ge-
wohnte Weise zu Säbel und Revolver. Sie konnte bei allem
„forschen Draufgehen” nicht verhindern, daß in verschiedenen
Straßen geplündert wurde.
   In Elberfeld marschierte ein gewaltiger Demon-
strationszug der Erwerbslosen in Ordnung und Geschlossenheit
durch die Stadt. Ein Polizeikommando trat dem Zug pro-
vozierend entgegen; der Führer der Polizei gab kaltblütig
den Befehl, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Der Er-
folg war, daß insgesamt 3 hungernde Proletarier
niedergeschossen wurden.
   Wie lange soll das grausame Spiel der Mordwaffe gegen
den Hunger der Arbeitslosen noch währen?
   In Lennep fanden am Montag und Dienstag große
Erwerbslosendemonstrationen statt. Da die Stadtverwaltung
die Erwerbslosen stundenlang warten ließ, stieg die Erre-
gung. Der Bürgermeister, der im evangelischen Vereinshaus
mit den Unternehmern zusammensaß, mußte zu Verhandlun-
gen gezwungen werden. Am Dienstag zogen die Erwerbslosen
wiederum vor das Rathaus, wo ihnen ein Schupokommando
mit Gummischläuchen und Seitengewehren entgegentrat. 2
Arbeiter und 2 Beamte wurden verletzt. Die Arbeiterschaft
fordert sofortige Entfernung der Schupo aus Lennep.
   Auch in Remscheid kam es am Dienstag zu Plün-
derungen. Das Unternehmertum hält die Betriebe ge-
schlossen. Die Erwerbslosen erhielten die Mitteilung, daß
Unterstützungsgelder nicht ausgezahlt werden. Die Stadtver-
waltung hat die im Stadtverordnetenkollegium mit Mehrheit
gefaßten Beschlüsse nicht durchgeführt. Die erregten und vor
dem Nichts stehenden Erwerbslosen griffen zur Selbsthilfe.
Besonders im Mittelpunkt der Stadt wurden von der Menge
vor allem die Brotgeschäfte besucht. Ueberall sah man Men-
schen mit Broten und sonstigen Lebensmitteln unter dem Arme
nach Hause geben. Die Schupo bewegte sich zwischen der
Menge. Zu ernsteren Zusammenstößen ist es nicht gekommen.
Nur stellenweise hat die Schupo sich in der üblichen brutalen
Art betragen. Teilweise regelten Schupoabteilungen die „Er-
fassung“ der Lebensmittel. Bis spät in die Nacht hinein
herrschte in den Straßen starke Bewegung.
   Das Unternehmertum hat diese Plünderungen auf dem
Gewissen. Die Stadtverwaltung hat durch ihr unternehmer-
freundliches Verhalten die kapitalistischen Urheber dieser Plün-
derungen unterstützt.
   „Der Ruf nach der Oeffnung der Betriebe wird
immer lauter und drohender. Die Verzweiflung steht den seit
Monaten auf dem Pflaster liegenden Proleten im Gesicht. Die
Gewerkschaften haben die Pflicht, die stärksten Hebel anzusetzen
damit die Oeffnung der Betriebe endlich dem grausamen Elend
ein Ende mache! Damit die zynische Brutalität der Kapitalisten
ein Ende findet.