5. Dezember 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 5. Dezember 1923

Eine öffentliche Versammlung der KPD in der Ohligser Schützenburg

                                        Ohligs
           Die öffentliche Versammlung der KPD.
am vergangenen Freitag in der städtischen Schützenburg konnte
leider erst mit einer Stunde Verspätung eröffnet werden, weil der
vorgesehene Referent am Erscheinen verhindert war und der nun in
die Bresche tretende Genosse Dr. Schmückle-Solingen mit Ver-
spätung eintraf. Unterdessen schilderte Genosse Sohl in kurzen
Ausführungen die Lage der Erwerbslosen und gab das Ergebnis
der an diesem Tage zwischen den Bürgermeistern und der Regie-
rung stattgefundenen Verhandlungen bekannt. Aus den klaren
Ausführungen ging hervor, daß durch die in Szene gesetzte Affäre
der beiden Beigeordneten Bräunig und Dr. Langhans gegen das
Handelshaus Schmidt und den Bürgermeister die Erwerbslosen
stark in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Es sei nämlich fest-
gestellt, daß die Stadt in dieser Zeit keine Lebensmittel hätte ein-
kaufen können, gerade während der Zeit, als noch die Möglichkeit
bestand, durch günstige Einkäufe den Erwerbslosen billige Lebens-
mittel zu beschaffen. Die vorhandenen Lebensmittel, die den Er-
werbslosen zustanden, habe man beschlagnahmt. Zudem habe ge-
rade das Handelshaus Schmidt die Stadt mit billigen Lebens-
mitteln versorgen wollen. Die Szene, die nun hier aufgeführt
wurde, habe sich nur gegen den städtischen Lebensmitteleinkauf ge-
richtet. Die Sammlung für die Erwerbslosen durch die Geschäfts-
leute sollte nach Ansicht dieser Kreise von dem gebildeten Ausschuß
zur Verteilung gebracht werden. Indessen müsse man heute fest-
stellen, daß das Wohlfahrtsamt in der bekannten Form die Ver-
teilung vornehme. Den Arbeitslosenrat habe man
völlig beiseite geschoben. Diesem Schildbürgerstreich
habe sich nun der zweite angeschlossen, indem das Wohlfahrtsamt
ein zur Verfügung der Volksküche gestiftetes Schwein einfach be-
schlagnahmte.
   Hierauf berichtete er über die Unterstützungssätze, die am Sams-
tag bereits zur Auszahlung gelangten. Selbige betragen für männ-
liche Erwerbslose über 21 Jahre 2,5 Billionen Mark, steigend bei
Verheirateten bis auf die „höchste“ Stufe von 4,5 Billionen Mark.
Daß diese Mitteilungen die lebhafteste Entrüstung hervorriefen, ist
selbstverstnädlich [sic!] und gar nicht verwunderlich.
   Hierauf referierte Genosse Schmückle über das eigentliche
Thema: „Freiheit, Brot und Arbeit”. Er schilderte in markanten
Ausführungen die Sozialisierung des Hungers durch die Militär-
Diktatur. Am 9. November 1918 habe man den Arbeitern Freiheit,
Brot und Arbeit versprochen, aber anstatt dessen habe man beob-
achten müssen, wie das Proletariat dem Hunger preisgegeben
wurde. Grenzenloses Elend herrscht, dessen Auswir-
kung die kapitalistische Gesellschaft derart erschüttert hat, daß sie sich
genötigt sieht, sich mit Waffengewalt vor der kommunistischen Ge-
sellschaft zu retten. Gerade die letzten Anzeichen lassen darauf
schließen, daß die Sonne des Kapitalismus im Erbleichen ist und
die Sonne der Freiheit im Osten bereits den neuen Tag ankündigt.
   Hierauf wurde nach einem Appell an die Erschienenen infolge
der Kälte in dem ungeheizten Saale die Versammlung geschlossen.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (5. Dezember 2023). 5. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 6. November 2024 von https://doi.org/10.58079/ag2b


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