Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 21. Oktober 1923
In Sachsen wehre sich Ministerpräsident Erich Zeigner (SPD) gegen die Verhängung des militärischen Ausnahmezustands durch die Reichsregierung Stresemann. Dieser innerdeutsche Konflikt, in dessen Zentrum der sächsische Wehrkreiskommandant und der sächsische Finanzminister (KPD) stünden, gebe nicht nur für das Ausland ein schlechtes Bild ab: Er gefährde außerdem den inneren Frieden im Reich.
Der sächsische Konflikt.
Bürgerkrieg von amtswegen?
Man schreibt uns aus bürgerlichen Partei-
kreisen: Das Ausland, dem in letzter Zeit soviel
von der baldigen inneren Gesundung Deutsch-
lands erzählt wurde, ist angesichts des sächsischen
Konflikts wahrscheinlich zu einer gegenteiligen
Ueberzeugung gekommen, nämlich, daß es im
Reiche drüber und drunter geht, daß sich nicht
nur die Klassen und Parteien zerfleischen, sondern
daß der Bürgerkrieg nun auch sozusagen von
amtswegen betrieben wird. Aber für den Näher-
stehenden liegen die Dinge durchaus nich so schlimm
daß man, wie gewisse vom Inflationsgewinn voll-
gesogene Existenzen es jetzt in Scharen tun, au-
ßer Landes flüchten müsse, um “nicht in das
Gemetzel zu geraten.” Die innerpolitische Lage
ist gewiß sehr ernst und traurig, aber der Bruder-
kampf zwischen den deutschen Stämmen, zwischen
den “marxistischen” Freistaaten und den bour-
geois-gerichteten Reichsteilen wird nicht aus-
brechen.
Reichskanzler Stresemann hat den großen Ka-
binettsrat in Berlin eigens zu dem Zwecke einbe-
rufen, um neben den Sorgen des Ermächtigungs-
programms und der auswärtigen Politik einen
Weg der Verständigung mit dem sächsischen Mini-
sterpräsidenten Dr. Zeigner zu finden. Uebers
Knie läßt sich die Angelegenheit nicht brechen.
Man muß Geduld üben. Man darf vor allem
in den offiziellen Aeußerungen nicht so fürchter-
lich übertreiben, wie es der sächsische Ministerprä-
sident leider immer wieder tut. Das Schreiben
des sächsischen Wehrkreiskommandanten General
Müller an Dr. Zeigner war kein “Ultimatum”,
wie dieser es im sächsischen Landtag nannte, son-
dern eine Anfrage, gerichtet gegen den kommu-
nistischen Finanzminister Böttcher, der sich eine
starke Kränkung Müllers hatte zuschulden kom-
men lassen. Dr. Zeigner sprach von rechts- und
verfassungswidrigen Drohungen des Generals
Müller und spielte die Reichsverfassung gegen
die Reichsregierung aus. Der Ministerpräsident
Sachsens will also nicht wahr haben, daß der
Ausnahmezustand im Reiche verfassungsmäßig zu-
stande gekommen ist, daß das Ermächtigungsgesetz
von der Mehrheit des Reichstages beschlossen
wurde und daß der Militärbefehlshaber in Sach-
sen in Ausübung seiner ihm vom Reich übertra-
genen Pflicht handelt, wenn er die proletarischen
Hundertschaften verbietet?
Vielleicht wäre ein erfahrerener Politiker
oder auch nur ein Kenner der Volkspsyche im
Industrielande Sachsen anders vorgegangen.
Man muß unter dem Drucke des Ausnahmezu-
standes vorsichtig mit Kritik sein. Aber man
darf doch die Frage aufwerfen: Worum geht es
denn in Thüringen? Warum verträgt sich dort
der Wehrkreiskommandant General Rheinhardt
(von Stuttgart aus) mit der sozialistisch-kommu-
nistischen Regierung in Weimar? Warum grü-
ßen sich in Thüringen die Offiziere der Reichs-
wehr und der Landespolizei und arbeiten fried-
lich nebeneinander, während man in Sachsen
feindselige Blicke austauscht? Im thüringischen
Landtag hat Staatsrät Frölich erklärt, daß seine
Regierung ihre Hauptaufgabe in der Erhaltung
der Einheit des Reiches erblickt. Demgegen-
über ständen die besonderen Interessen des Lan-
des erst in zweiter Linie. Kann sich der sächsische
Ministerpräsident zu solcher Staatsweisheit nicht
aufschwingen? „Ein Intellektueller, den bis vor
kurzem niemand in der Partei kannte, der nichts
aufzuweisen hat, als einen klangvollen Rädika-
lismus und lobreiche Empfehlung seines Drauf-
gängertums“, so verurteilte ihren eigenen Partei-
genossen kürzlich die sozialistische Wochenschrift
„Die Glocke“. Sie warf ihm „demagogische Ko-
ketterie” vor. und schrieb: „Die Unerfahrenheit
erst dreijähriger politischer Tätigkeit mag ihn
entschuldigen.“
Vom bürgerlichen Parteistandpunkt aus kann
man dieses Urteil der eigenen Standesgenossen
Zeigners nur unterschreiben. Wenn die Berliner
Sozialdemokratie jetzt dem sächsischen Minister-
präsidenten zur Seite springt, indem sie die so-
fortige Aufhebung des militärischen Ausnahme-
zustandes verlangt und durch den „Vorwärts”
mit Sprengung der Koalition drohen läßt, so ist
das ein sehr bedauerlicher Dolchstoß in den Rük-
ken der Stresemannschen Diplomatie. Der der-
zeitige Reichskanzler ist einem Fechter wie
Zeigner gewachsen, um nicht zu sagen: über. Dr.
Stresemann wird einen vernünftigen Ausgleich
mit Sachsen finden. Das erhoffen alle Freunde
des inneren Friedens.
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Stadtarchiv Troisdorf (21. Oktober 2023). 21. Oktober 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 17. November 2025 von https://doi.org/10.58079/ag1r
