Quelle: Stadtarchiv Solingen, Akte Wald W 3265, Abschrift Bergische Zeitung 16. November 1923

Die Stadtverwaltung Wald, Vertreter der Arbeitgeber und der Arbeitslosen beraten über Maßnahmen „zu einer Linderung der Notlage“ der Bedürftigen. Die Vertreter der Arbeitslosen weisen darauf hin, dass eine sofortige „Barzahlung notwendig sei, um Plünderungen und sonstige Unruhen zu vermeiden“. Die Stadtverwaltung sieht ihrerseits keine Möglichkeit, Bargeld oder verbilligte Lebensmittel auszugeben, so dass sich die Forderungen und der „Druck der Strasse“ zunehmend an die Arbeitgeber richten.

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Wald, den 16. November 1923.

       Einer Forderung der Erwerbslosen folgend, die am gestrigen
Vormittag in ziemlich beträchtlicher Zahl dieserhalb vor dem Rat-
hause demonstrierten, hatte die Stadtverwaltung die Arbeitgeber der
Stadtgemeinde Wald auf gestern nachmittag zu einer Besprechung ein-
geladen, um mit ihnen Mittel und Wege zu erörtern, die zu einer Lin-
derung der Notlage der Bedüftigen [sic!], insbesondere der Erwerbslosen,
beitragen könnten. Beigeordneter Schneider eröffnete die Besprechung
dankte den verhältnismässig zahlreich erschienenen Arbeitgebern für
ihr Erscheinen und legte die Gründe für die Zusammenkunft dar.
Er wies insbesondere darauf hin, dass es der Stadtverwaltung fürder-
hin nicht mehr möglich sein würde, über die vom Reich festgesetzten
Unterstützungssätze hinaus an die Erwerbslosen Zahlung zu leisten.
Auch der Einkauf von Lebensmittel und deren verbilligte Ausgabe an
die Bedürftigen sei dadurch in Frage gestellt, dss [sic!]die Stadt über
Devisen (denn nur mit Devisen können noch Lebensmitteleinkäufe im
Grossen getätigt werden) nicht verfüge.
Vertreter der Erwerbslosen schilderten die Notlage weiter Kreise
der Unterstützungsempfänger, insbesondere der Erwerbslosen, und
stellten die Forderung auf Zahlung eines weiteren Barbetrages noch
im Laufe dieser Woche. In der Aussprache wies Herr Franzen darauf
hin, dass die zusammengelegten Betriebsmittel aller Walder Arbeitge-
ber kaum ausreichen würden, die Walder Unterstützungsempfänger
auch nur für einige Tage zu ernähren. Die Wiederaufnahme der Arbeit
in den Betrieben sei in vielen Fällen ausserordentlich schwierig,
sie würden teilweise noch durch die Weigerung der Arbeiter, die Ar-
beit wieder aufzunehmen, oder fortzusetzen in Frage gestellt, was
wohl mit auf die im Verhältnis zu den Löhnen recht hohen Unterstüt-
zungen in einigen Gemeinden des oberen Kreises Solingen zurückzufüh-
ren sei. Herr Lauterjung bestätigte die Ausführungen seines Vor-
redners. Er glaubt indes, dass die Industrie in der Lage sein wird,
der Stadt bei Erlangung von Reichsbankkrediten für die Lebensmittel-
beschaffung behilflich zu sein, durch Gerierung der Wechsel, wie es
bisher schon in einigen Fällen geschehen sei.
    Beigeordneter Schneider wies demgegenüber erneut darauf hin, dass
Papiermarkkredite unter den heutigen Verhältnissen den Einkauf von
Lebensmitteln nicht mehr ermöglichen.
Herr Krusius regte daraufhin an, die Stadtverwaltung möge der Indu-
strie einen Plan vorlegen, welchen Goldmark-Kredit sie zur
Sicherstellung der Ernährung der Bevölkerung benötige. Er glaube,
die Industrie würde in der Lage sein, der Stadt einen Goldmarkkredit
gegen Wechsel mit 3 monatiger Lauffrist zu verschaffen. Die Verwal-
tung sagt zu, den Vorschlag der Industrie zu prüfen und die Aufstel-
lung eines Bedarfsplanes sofort in die Hand zu nehmen.
Herr Meis, als Vertreter des Kleinhandels, sagt zu, dass der organi-
sierte Kleinhandel bei Verteilung der von der Stadt abzugebenden Le-
bensmittel seine Mitwirkung leihen würde. Bei Beschaffung der Lebens-
mittel empfiehlt er, sich der Einkaufsgenossenschaft des Lebensmit-
telhandels zu bedienen. Bei der Aufstellung des Bedarfsplanes
soll ein Vertreter des Kleinhandels und ein Vertreter der Industrie
mitwirken. – Von den Vertretern der Erwerbslosen wurde am Schlusse
der Verhandlung erneut darauf hingewiesen, dass mit Rücksicht auf
die augenblickliche Notlage der Unterstützten die sofortige Bereit-
stellung einer Barzahlung notwendig sei, um Plünderungen und sonstige
Unruhen zu vermeiden. Die durch die Kredithilfe der Industrie viel-
leicht ermöglichte Lebensmittelversorgung würde erst in einigen Ta-
gen wirksam werden, bis dahin müsse den Erwerbslosen durch Bargaben
geholfen werden. Sie richten an die Industrie das Ersuchen, der
Stadtverwaltung die Mittel für die Auszahlung der geforderten Summen
(15 Billionen zuzügl[ich] 2 Billionen für jedes Kind)
zur Verfügung zu stellen. Beigeordneter Schneider erklärte, dass
der Verwaltung es völlig unmöglich sei, im Augenblick eine Barzah-
lung in Aussicht zu stellen, da der Bürgermeister wegen der Ueber-
zahlung im Anfang der Woche augenblicklich von der Regierung zur
Verantwortung gezogen sei und das Ergebnis dieser Verhandlung abge-
wartet werden müsse. Er hegte aber nicht die Hoffnung, dass das Re-
sultat eine weitere Barzahlung in dieser Woche ermöglichen würde.

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Ob die Industrie der Verwaltung die Mittel für eine Zahlung zur
Verfügung stellen wolle und könne, würde von ihm bezweifelt.
Tatsächlich verhielt sich die Industrie in dieser Beziehung
                                            durch Stillschweigen ablehnend, worauf
Beigeordneter Schneider die Verhandlung schloss. Die im Gewerk-
schaftshaus versammelten Erwerbslosen veranlassten, nachdem ihnen
über das Ergebnis der Verhandlung Bericht erstattet wurde, er-
neut einen Teil der Arbeitgeber zu einer Sitzung im Rathause zu-
sammenzutreten in der wieder an die Industriellen das Ver-
langen gestellt wurde, die Auszahlung eines weiteren Barbetrages
an die Erwerbslosen noch in dieser Woche zu finanzieren. Mit Rück-
sicht darauf, dass die erforderliche Summe wohl kaum überhaupt,
geschweige denn in der geforderten Zeit, von der Industrie aufge-
bracht werden kann, auch nur ein kleiner Teil der Walder Betriebs-
inhaber an dieser 2. Verhandlung teilnahm, konnte die Besprechung
das von den Erwerbslosen gewünschte Ergebnis nicht zeitigen.
Herr Bürgermeister Seynsche erklärte als Leiter der 2.
Verhandlung mit den Industriellen,
dass er, da er ein erspriessliches Ergebnis der Verhandlung, de-
ren Teilnehmer teilweise unter Drucke der Strasse zu den Ver-
handlungen erschienen seien, nicht erhoffen könne und er deswegen
diese schliessen müsse. Er bat die Industriellen dringend, unter-
sich sofort zusammenzutreten und das Ergebnis der Beratungen baldmög-
lichst mitzuteilen. –
     Wie wir weiter erfahren, sind mit Rücksicht auf die von der
Stadtverwaltung zu Anfang der Woche an die Erwerbslosen geleiste-
ten ungesetzlichen Zahlungen von der Regierung sämtliche Reichs-
und Staatszuschüsse bis auf weiteres gesperrt worden. Die Ausga-
be weiteren Notgeldes bleibt nach wie vor verboten, sodass jede Mög[-]
lichkeit fehlt, die Forderung der Erwerbslosen auf Leistung einer
weiteren Barzahlung in Laufe dieser Woche zu erfüllen. –