Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 21. März 1923
Das Solinger Tageblatt kritisiert die andauernde Blockadehaltung der kommunistischen Mehrheit bei Entscheidungen in der Höhscheider Stadtverordnetenversammlung. Den Kommunisten wird zur Last gelegt, sie würden mit ihrer Politik die Versorgung der Bevölkerung gefährden.
Aus dem Landkreise Solingen.
ʘ Höhscheid, 21. März. Die gestrige Stadtverordnetensitzung
stand wieder einmal ganz unter dem Einfluß der Katastrophenpolitik,
die die Höhscheider Kommunisten in ihrem notorischen Eigensinn seit
einigen Monaten zur Richtschnur ihres Handelns gemacht haben.
Gleich nach den Geschäftlichen Mitteilungen, in denen die von uns
bereits veröffentlichte Festsetzung der Zuschläge zu den Realsteuern
durch den Regierungspräsidenten und den Bezirksausschuß bekannt
gegeben wurden, gab Stadtverordneter Lüchem (Kom[munisten]) im Auftrage
seiner Fraktion die Erklärung ab, daß seine Fraktion es fernerhin
ablehne, positive Mitarbeit zu leisten, bis die Beanstandung
des Beschlusses N[umme]r 9 vom 24. November 1922 betreffend die
Wohlfahrtsunterstützungssätze zurückgenommen sei und positive Unter-
lagen dafür gegeben seien, daß das Selbstverwaltungsrecht der Ge-
meinde sabotierende Verfügungen der höheren Instanzen nicht mehr
ergehen würden. Er verlas darauf folgende Erklärung der K.P.D.:
„Die Stadtverordnetenversammlung nimmt Kenntnis von der Fest-
setzung der Nachtragsumlage durch den Regierungspräsidenten und den
Bezirksausschuß in Düsseldorf. In dem Vorgehen der übergeordneten
Instanzen erblickt sie einen Eingriff in das Selbstverwaltungsrecht
der Gemeinde und protestiert auf das schärfste gegen diese Maßnahme.
Die Regierung hat mit ihren Maßnahmen den Rahmen ihrer
Kompetenz überschritten, die Ausschaltung der Stadtverordneten-
Versammlung ist gesetzlich nicht zu begründen. Diesem Willkür-
regiment kann die Stadtverordneten-Versammlung nicht bloß mit
Protesten entgegentreten, sondern sie wird den schärfsten Kampf
gegen dieses führen müssen. Die Stadtverordneten-Versammlung er-
wartet von der Stadtverwaltung, daß sie in diesem Kampfe der Stadt-
verordneten-Versammlung zur Seite steht und alles unternimmt, das
geeignet ist, diesem unwürdigen Zustand ein Ende zu bereiten.
Durch die Beanstandung des Beschlusses N[umer]o 9 vom 24. Nov[ember] 1922
hat der Bürgermeister das Selbstbestimmungsrecht selbst preis-
gegeben und damit das Gemeindeinteresse (der K.P.D.? Die Schriftl[eitung])
auf das gröblichste verletzt. Die Stadtverordneten-Versammlung
protestiert auf das schärfste gegen das Verhalten des Bürger-
meisters und erklärt, daß sie ihm jedes Vertrauen abspricht.
Das Kollegium unterstreicht aufs neue die Erklärung vom 7. März 1923
und lehnt der Verwaltung jegliche Mittel so lange ab, bis es hin-
reichende Garantien dafür hat, daß derartige Eingriffe nicht mehr
vorkommen. Die Fraktion der K.P.D.“ Der Bürgermeister erklärte
darauf, daß er, um die Abstimmung nicht zu beeinflussen, bei der
Abstimmung über diese Erklärung nicht anwesend sein wolle, und
übertrug den Vorsitz dem 1. Beigeordneten Nouvertne. Wenn
ihm natürlich jedes Vertrauen abgesprochen werde, wo er stets,
insbesondere auch hinsichtlich der Steuerfestsetzung, alles daran
gesetzt habe, um den finanziellen Zusammenbruch der Gemeinde
zu verhindern, dann könne er den Vorsitz nicht mehr weiter
führen und übertrage ihn dem 1. Beigeordneten. Nachdem ein großer
Teil der bürgerlichen Stadtverordneten sich während der Verlesung
der kommunistischen Erklärung aus dem Saale entfernt hatten und der
Beigeordnete Nouvertne den Vorsitz an den Beigeordneten Weintz und
dieser ihn wieder an den Beigeordneten Stolz (Zentr[um]) abgetreten hatte,
wurde die Erklärung gegen die Stimmen der Sozialisten und der noch
anwesenden Bürgerlichen mit 17 gegen 7 Stimmen angenommen. Im
weiteren Verlauf der Sitzung wurden dann alle Vorlagen, die sich
auf die Bewilligung von Mitteln und die Erhöhung von Steuern be-
zogen, also fast alle in unserem gestrigen Bericht genannten Vorlagen,
abgelehnt. Angenommen wurde lediglich die ebenfalls gestern von
uns aufgeführte Vorlage bezüglich der Beschwerde in der Ange-
legenheit der Schankerlaubnissteuer, bezüglich des Austausches von
Grundstücken, die Ersatzwahl für den Wohlfahrtsausschuß und die
Wahl eines Schiedsmannes. Da sich unter den abgelehnten Vorlagen
auch die Erhöhung des Gaspreises befindet, steht die Gemeinde Höh-
scheid wegen der Katastrophenpolitik der kommunistischen Mehrheit
wieder einmal vor der Gefahr, daß ihr die Gaszufuhr seitens des
R.W.E. gesperrt wird. Ob das im Interesse der Bevölkerung liegt,
darüber mögen auch die Auftraggeber der kommunistischen Stadtver-
ordneten einmal nüchtern nachdenken. Selbst wenn die Gaspreise
durch die Erhöhung erheblich gestiegen wären, so hätte die An-
nahme des folgenden Punktes, der eine Staffelung des Gas-
preises vorsah, die Möglichkeit geschaffen, den Minderbemittelten
den Gasverbrauch nicht unwesentlich zu verbilligen. Ueberhaupt
ist es keine Art und Weise, wenn ein Kommunalpolitiker, der mit
einem gesunden Menschenverstand ausgestattet ist und sich auf
den Boden der wenn auch leider bisweilen etwas harten Tatsachen
stellt, wegen eines Eingriffes in die Selbstverwaltung, der durch ein
Verwaltungsstreitverfahren erledigt werden kann, durch Ablehnung
einer positiven Mitarbeit an der Verwaltung eines finanziell darnieder-
liegenden Gemeindewesens einen katastrophalen Zustand schafft,
dessen Auswirkungen gar nicht abzusehen sind. Was im übrigen die
Beanstandung des Verhaltens des Bürgermeisters und die Festsetzung
der Realsteuerzuschläge durch den Regierungspräsidenten angeht, so
möge auch die K.P.D. bedenken, daß erst durch diese infolge des Verhaltens
der K.P.D. notwendig gewordene regierungsseitige Festsetzung der
Steuersätze die Eintreibung der Steuern und die Deckung der Kosten für
die in den kommenden Wochen an die Gemeinde herantretenden Aufgaben
sozialer Natur ermöglicht worden ist. Die Politik der Kommunisten
im Höhscheider Stadtrat ist und bleibt uns unverständlich, und man
könnte es wahrhaftig begrüßen, wenn die Fraktion der Oeffentlichkeit
einmal klipp und klar sagen wollte, was sie will und was sie von
ihren Maßnahmen Ersprießliches erhofft.
Auflösung von Abkürzungen:
K.P.D. = Kommunistische Partei Deutschlands
RWE = Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG
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Stadtarchiv Solingen: RK (21. März 2023). 21. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 25. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/ae3m