24. Oktober 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 24. Oktober 1923

Der Bürgermeister von Höhscheid, Pohlig, beklagt die hohen Strompreise mit ihren dramatischen Folgen für die Heimarbeiterschaft.

                                            Höhscheid
                       Strompreise und Heimindustrie.
   Herr Bürgermeister Pohlig schreibt uns u. a.:
   Am 20. d[ie]s[en] M[ona]ts wurde eine Abordnung der Heimarbeiter
wegen der hohen Strompreise des Rheinisch-Westfälischen Elektri‐
zitätswerkes bei mir vorstellig und erklärte, daß die Heimindustrie
nicht mehr in der Lage sei, die hohen Strompreise zu bezahlen. Da‐
durch, daß der Strompreisberechnung der am Zählerablesungstage
geltende Kohlenpreis zugrunde gelegt wird, hätten Stromabnehmer,
die im September 2 Milliarden verdienten, ca. 20 Milliarden Mark
für den Strom zu bezahlen. Gegenwärtig werde ihr Verdienst durch
die Strompreise bei weitem überschritten, was darauf zurückzu‐
führen sei, daß einerseits die Löhne der Heimarbeiter seit der 2.
Oktoberwoche nicht mehr der Markentwertung entsprechend aufge‐
bessert worden seien und sie anderseits auch das Entwertungsrisiko
zu tragen hätten, indem am Zahltage die Geldentwertung derart
fortgeschritten sei, daß die neuen Teuerungszuschläge hierdurch illu‐
sorisch geworden seien. Unter diesen Umständen sähen sie sich, wenn
nicht die Beträge für September und die erste Oktoberhälfte vor‐
läufig gestundet würden, zur Schließung der Betriebe veranlaßt.
Ich habe Verhandlungen mit dem Rheinisch-Westfälischen Elektri‐
zitätswerk veranlaßt, die nach Rückkehr des zurzeit verreisten Herrn
Direktor Peters voraussichtlich Ende dieser oder Anfang nächster
Woche stattfinden werden.
   Bei der Besprechung mit der Abordnung mußte ich weiter fest‐
stellen, daß die Löhne der Heimarbeiter in keinem Verhältnis mehr
zu den Aufwendungen für Material, Strom etc. stehen und angesichts
der Teuerung nicht einmal mehr zum Lebensunterhalt reichen.
Jedenfalls muß ein Weg gefunden werden, daß die Existenzmög‐
lichkeit der Heimarbeiter gesichert ist und sie möglichst vor den Fol-
gen der Geldentwertung geschützt werden. Es geht nicht an, daß
nur dem Handel das Recht zusteht, sich auf die Goldbasis zu flüchten
und täglich einen Multiplikator festzusetzen, während die Arbeiter‐
schaft gar keine Möglichkeit hat, sich diesen Verhältnissen anzupassen.
Daher ist zu erwägen, ob zwischen den Arbeitgeber- und Arbeit‐
nehmerorganisationen ein Abkommen dahingehend getroffen wer‐
den kann, daß die jetzige Lohnbasis täglich der Entwertung angepaßt
und ferner den Arbeitern Gelegenheit gegeben wird, den Teil des
Lohnes, den sie nicht sofort zum Lebensunterhalt benötigen, wert‐
beständig anzulegen. Da muß es aber nach meinem Dafür‐
halten Aufgabe der Arbeitgeberschaft sein, hier einen geeigneten
Weg zur wertbeständigen Anlage der Gelder zu finden. Dem Ver‐
nehmen nach ist von verschiedenen Firmen — Farbenfabriken in
Leverkusen, Friedr. Herder Abr. Sohn in Solingen — diese Frage
schon gelöst worden, so daß auch andere Firmen, namentlich des
Solinger Industriebezirks, im Interesse der Erhaltung der Heim‐
industrie dazu übergehen müssen.
   Etwaige Besprechung dieser Angelegenheit wird wahrscheinlich
am Schlusse der Stadtverordnetensitzung am 25. d[ie]s[en] M[ona]ts erfolgen.


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Stadtarchiv Solingen (24. Oktober 2023). 24. Oktober 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/afsz


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