Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 23. Oktober 1923

Bericht über eine Arbeitslosenversammlung in Ohligs

             Der Aufmarsch der Ohligser Arbeiterschaft
am vergangenen Freitag gelegentlich der Arbeitslosenversammlung
in der städtischen Schützenburg zeigte aufs neue, daß die Massen
immer mehr das Vertrauen auf eine baldige Aenderung ihrer Not‐
lage durch die jetzt noch bestehende Gesellschaft aufgegeben haben. Tag‐
täglich eröffnen sich immer schwärzere Perspektiven, aus welchen
Gründen die Arbeiterschaft sich mit sämtlichen Bedrückten zusammen‐
schließen muß, um diesen Zuständen ein Ende zu bereiten.
   Mehrere tausend Personen waren erschienen, die die Berichte
ihrer gewählten Vertreter entgegennahmen. Genosse Lohmar als
Vorsitzender des Erwerbslosenrates gab einen kurzen Bericht über die
gegenwärtige Lage der gesamten Arbeiterschaft und führte aus, daß
man sich überall rüste, die Einheitsfront der Unterdrückten gegen die
Unterdrücker herzustellen. Das, was sich in der vorigen Woche ab‐
gespielt habe, Plünderungen der Geschäfte, müsse man auf das ent‐
schiedenste ablehnen. Er verlas eine Reihe von Forderungen an die
Stadtverwaltung, auf die wir noch zurückkommen werden. Hierauf
erstattete Kollege Sohl den Bericht über die Lebensmittel-Kom‐
mission, die im Einvernehmen mit den Händlern und der Stadt‐
verwaltung die Versorgung mit Lebensmitteln durchgeführt habe.
Gleichzeitig habe man gefordert, Freilassung der Inhaftierten; an‐
statt dessen habe man täglich weitere Verhaftungen vorgenommen.
Weiter habe man gefordert: Ablösung der Schupo und Bildung einer
Arbeiterwehr; unentgeltliche Abgabe von Lebensmitteln, Oeffnung
der Betriebe und Einführung einer produktiven Erwerbslosen‐
fürsorge. Alle diese Forderungen, mit Ausnahme der Beschaffung
von Lebensmitteln, habe man uns abgelehnt. Im übrigen sei man
stets bestrebt gewesen, diese Kommission an die Wand zu drücken. Da
man diese Kommission nur als ein Provisorium betrachtete, legte die‐
selbe ihr Mandat nieder und forderte Neuwahl derselben. Indessen
war von dem Landratsamt telephonisch eine Beruhigungspille ge‐
sandt worden dergestalt, daß die Unterstützungssätze erhöht worden
seien. Also erst nach dem Druck der Massen ist man jedesmal in der
Lage, Zugeständnisse zu machen.
   Anschließend nahm Stadtverordneter Heller das Wort und
versprach alles zu tun, um die Lage der Arbeitslosen zu bessern. Er
versuchte die Verwaltung in Schutz zu nehmen, sie sei nämlich
bankrott. Plötzlich schrie er nach Erfassung der Sachwerte und ver‐
wies darauf, daß genügend Briketts auf den Lägern der Kohlen‐
händler aufgespeichert wären, diese müßten verteilt werden. Genosse
Füllegrabe verwies auf die traurige Erscheinung, daß Leute ver‐
sucht hätten, doppelt Lebensmittel zu erhalten. Dem entgegenzu‐
treten, müsse sich jeder zur Pflicht machen. Genosse Menge ging
auf die Vorgänge in Aufderhöhe ein, weil ihm von seiten Erwerbs‐
loser Vorwürfe gemacht worden sind, er habe daselbst Versprechungen
gemacht, die er nachher nicht gehalten habe. Nach Richtigstellung
dieser ganzen Angelegenheit teilte er mit, daß sich Geschäftsleute
bereit erklärt hätten, Lebensmittel freiwillig abzugeben. Die Kohlen‐
und Kartoffelhandlung Jak. Andree habe trotz der Plünderung bei ihr
größere Mengen Kartoffeln und Brennstoffe zur Verfügung gestellt.
Andere würden voraussichtlich folgen. Des ferneren würden auch
Textilwaren den Arbeitern zur Verfügung gestellt. Er warnte vor
Plünderungen und Unbesonnenheiten, um unserer Sache nicht zu
schaden. In markanten Ausführungen gingen der Kollege Schmitz
von Wiesdorf auf die großen Aufgaben ein, die der Lösung der ge‐
samten Arbeiterschaft bevorstehen.
   Die Abstimmung über die Anträge ergab einmütige Annahme
derselben. Der Erwerbslosenrat wurde durch drei Vertreter von den
in den Betrieben stempelnden Kollegen ergänzt und die Lebensmittel‐
kommission mit einiger Aenderung neu gewählt. Zum Schluß nahm
dann noch Kollege Rautenbach vom Metallarbeiterverband das
Wort. Damit fand die von bester Disziplin beherrschte prachtvolle
Kundgebung ihr Ende.