Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 17. September 1923

Ein Rat aus Solingen an den neuen Finanzminister Hilferding, wie der Staat Zugriff auf Devisen bekommen könnte.

                                      Solingen
            Offener Brief an den Reichs-Finanz‐
                 minister Dr. Hilferding, Berlin.
     Ein Freund unseres Blattes, der die Materie aufs gründlichste
beherrscht, überbrachte uns nachstehende Zeilen zur Veröffentlichung:
     „Einsender erlaubt sich hiermit, Ihnen einige Mitteilungen zu
machen, wofür Sie sich als Finanzminister jedenfalls interessieren
werden. Diese angegebene Schilderung beruht auf täglich zu be‐
weisenden Begebenheiten, die man bei einigermaßen guten Verbin‐
dungen mit der Industrie sowie mit Exporteuren veröffentlichen kann,
damit auch die breite Masse ein Bild von dem Leben und Treiben
dieser Geschäftswelt sich machen kann.
   Die Verarmung der breiten Massen sowie des Staates ist haupt‐
sächlich auf das Konto der Industrie und des Exporthandels zu
buchen, nicht zu vergessen der wilden Devisenschieber.
     Der Industrieelle und Exporteur sind schon fast ohne Ausnahme
durch die Außenhandelskontrolle gezwungen, ihre Waren durchweg
nur in Devisen ins Ausland zu verkaufen, der Fabrikant bezw.
Exporteur erhält somit für seine Ware feste Werte.
     Aber diese Werte dem Staate wieder gegen Papiermark auszu‐
händigen, fällt diesen nicht ein, ein jeder hält seine Devisen, die der
Staat bezw. die Reichsbank so dringend brauchen, fest.
     Es hat sich nun schon seit langer Zeit eine Unsitte bezw. Roheit
von seiten der Devisenbesitzer eingebürgert, die von den Banken
ruhig geduldet wird, zum Schaden der breiten Masse und des
Staates, nämlich: Der Exporteur oder der Industrielle führt bekannt‐
lich neben seinem Devisenkonto auch ein Papiermarkkonto, um Löhne,
Rohmaterial etc. bezahlen zu können. Uebersteigt die schwebende
Schuld in Papiermark das Guthaben auf dem Papiermarkkonto, so
verkauft der Kontoinhaber keine Devisen, sondern nimmt von der
Bank Kredit in Anspruch, den er auf Grund seines Devisenkontos
als Deckung auch erhält gegen einen mäßigen Zinssatz. Der Konto‐
inhaber hat nun genügend Zeit, mit seinen Devisen zu spekulieren,
einen günstigen Kurs abzuwarten, um dann aber nur so viel Devisen
zu verkaufen, wie er unbedingt zur Deckung des entnommenen Kre‐
dits in Papiermark nötig hat.
     Auf diese Art und Weise schädigt der Devisenbesitzer den Staat
ungeheuer, er selbst bereichert sich, enthält dem Staat die Devisen,
die er unbedingt braucht, die breite Masse wird von Tag zu Tag
ärmer, weil sie nicht über Devisen verfügt, sondern mit Papiermark
abgespeist wird.
     Ferner wird von seiten der Finanzämter keine genügende Kon‐
trolle ausgeübt zur Ablieferung von Pflichtdevisen. Die Industrie
betrügt in den meisten Fällen den Staat bei der Einreichung von
Ausfuhranträgen, indem anstatt des wirklichen Fakturenbetrages ein
viel niedrigerer Satz in der Ausfuhrbewilligung angegeben wird, um
die Ausfuhrabgaben zu umgehen und sich an der Ablieferung der
Pflichtdevisen vorbeizudrücken.
     Alles dies zeugt von der Borniertheit des Handels und der In‐
dustrie, und kann dem Uebel nur dann abgeholfen werden, wenn es
an der Wurzel gefaßt wird. Dies ist z. B. gründliche Einschränkung
in der Devisenspekulation, Ablieferung von mindestens drei Vierteln
an Pflichtdevisen. Die Einwände der Industrie, sie müsse mit Devisen
Rohmaterial im Ausland einkaufen, sind durchweg glatter Schwindel.
Die Fabrikanten, welche im Inland Fertigwaren herstellen, be‐
ziehen ihr Rohmaterial im Inland von Stahl- bezw. Eisenwerken
und bezahlen nur in Papiermark.
     Ferner werden von den Finanzämtern diese Devisen nicht zur
Ablieferung erfaßt, die bei Inlandsaufträgen eingegangen sind. Die
Solinger Industrie hat seit 1922 trotz des Verbotes der
Reichsregierung Waren durchweg nur in Devisen im In‐
lande verkauft. Aus all diesem ist ersichtlich, daß die Industrie
über große Werte verfügt, i nfolgedessen [sic!] auch zur Zahlung bezw.
gründlichen Ablieferung der Devisen an die Reichsbank herange‐
zogen werden kann.
     Die Banken müßten verpflichtet werden, um ein Ver‐
schieben dieser Werte zu verhindern, jederzeit den zuständigen Fi‐
nanzämtern Mitteilung über die Höhe der Devisenkonten zu
machen, um dieselben zur Ablieferung zu bringen. Somit würde die
wilde Spekulation ausgeschaltet, die Verarmung der breiten Masse
würde in etwa aufhören und der Staat würde wieder über Werte
verfügen können, so daß der Weg bald gefunden würde zu einer Ge‐
sundung des Staates und des gesamten deutschen Volkes“.