Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 29. Dezember 1923
Über die Bedeutung der freien Presse im Allgemeinen und des Solinger Tageblatts im Besonderen.
Entspannung.
Die durch den Ruhrkampf bis zum Aeußersten gesteigerte wirt-
schaftliche und politische Hochspannung hat infolge der energischen
Gegenmaßnahmen der deutschen Regierung nachgelassen, und eine
allgemeine Entspannung macht sich wohltuend bemerkbar. Sie
zeigt sich wirtschaftlich darin, daß unsere Zahlungsmittel feste
Kurse behalten und daß die Preise sich gesenkt haben. Politisch
weißt die Lage insofern eine Besserung auf, als wir der Möglich-
keit direkter Verhandlungen mit Frankreich näher gekommen sind
und hoffen dürfen, daß das Wirtschaftsleben am Rhein und Ruhr
wieder in Gang kommen wird. Der Preis, mit dem wir diese
Besserung erkaufen müssen, steht noch nicht fest, ist jedoch in jedem
Falle drückend und schwer. Immerhin hat nach den Monaten
schwerster Depression im deutschen Volke die Hoffnung wieder Fuß
gefaßt, daß das neue Jahr uns langsam eine Besserung und den
Beginn des Wiederaufstieges bringen wird. Daß jedoch der Weg,
der uns zur Gesundung führt, äußerst steinig und dornenvoll ist,
erleben wir jetzt schon in nie geahntem Ausmaß. Die Hoffnung
allein hält uns aufrecht, daß wir durch das jetzige Dunkel hin-
durch zum Licht kommen müssen. Das neue Jahr stellt uns die
schwere Aufgabe, die Grundlagen unserer nationalen Existenz um-
und aufzubauen. Es wird auf lange Zukunft hinaus entscheidend
werden. Das erlegt uns in besonderem Maße die Pflicht auf,
selbst an der Gestaltung unseres eigenen Schicksals und dem Schick-
sal unseres Volkes tätig mitzuwirken. Unsere demokratische Ver-
fassung macht jeden einzelnen Staatsbürger mitverantwortlich an
der Führung der Staatsgeschäfte. Daraus folgt, daß sich niemand
ausschalten kann und darf bei allen Entscheidungen, die wir treffen
müssen. Und sie werden schwerer sein als je vorher. Um aber dieser
staatsbürgerlichen Pflicht genügen zu können, bedarf es eingehender,
klarer und schneller Unterrichtung über alle politischen, wirtschaftlichen
und kommunalpolitischen Ereignisse. Darum wird jedermann
weniger als jemals einer gut geleiteten Zeitung entraten können, die
ihn zuverlässig und rasch informiert über alles, was zur Urteils-
bildung unumgänglich ist. Wohl haben auch die Zeitungen sehr
schwer unter den drückenden wirtschaftlichen Verhältnissen
gelitten und nur unter größten Opfern und mit schwerster An-
strengung sich hochhalten können. Viele Zeitungen sind in dieser
Notzeit in wirtschaftliche Abhängigkeit geraten, die auf ihre
Haltung beeinflussend wirkt und so nackten Interessenvertretungen
Raum gibt, deren Schädlichkeit wir alle gerade in den ver-
gangenen schweren Monaten empfindlich verspürt haben. Ihnen
gegenüber hat sich das Solinger Tageblatt seine völlige Unabhängig-
keit gewahrt; es hängt nach wie vor weder von einer Partei noch
von irgend einer Interessengruppe ab, sondern setzt sich mit dem
ganzen Verantwortungsgefühl, das die Freiheit seiner Urteils-
bildung ihm auferlegt, nach bestem Wissen und bester Ueber-
zeugung ein für den Ausgleich der widerstreitenden Interessen, die
auf unser politisches und wirtschaftliches Leben einwirken. Dieser
seiner selbstgewählten Aufgabe wird das Solinger Tageblatt
auch in Zukunft treu bleiben. Wenn die Zeitungen am wirt-
schaftlichen Niedergange mit am schwersten zu tragen gehabt
haben, so sind sie auch die Ersten gewesen, die entschlossen an
einen Wiederaufbau, an die eigene Ausgestaltung und Erweiterung
herangegangen sind. Der Fortschritt, den unsere Leser bisher
schon wahrgenommen haben, sind wir mit allen Mitteln weiter
auszubauen bestrebt. Es ist uns wieder gelungen, den Kreis
unserer Mitarbeiter erheblich zu erweitern und darin führende
Persönlichkeiten auf allen Gebieten einzubeziehen, sowohl auf
politischem, wie auf wirtschaftlichem, künstlerischem und kulturellem
Gebiet. Diesen Ausbau hat das Tageblatt von allen im hiesigen
Bezirke erscheinenden Zeitungen voraus. Es kommt hinzu, daß
die günstige Erscheinungsweise es uns ermöglicht, alle bedeut-
samen Ereignisse noch am gleichen Tage zu veröffentlichen und
zu besprechen, sodaß der Leser die wesentlichsten Ergebnisse des
Tages auf allen Gebieten kurz nach ihrem Geschehen überblicken
kann. Dieser Vorzug ist in unserer schnellebigen Zeit von ganz
besonderem Wert. So erfüllt am besten die Erfordernisse
einer guten Tagespresse das meistverbreitete und meistgelesene
Solinger Tageblatt.
Wenn Sie sich die vollständige Ausgabe des Solinger Tageblatts ansehen möchten, klicken Sie auf den Link: Solinger Tageblatt vom 29. Dezember 1923
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Stadtarchiv Solingen: RK (29. Dezember 2023). 29. Dezember 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 7. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/vf7e