31. August 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 31. August 1923

Das Kabinett Stresemann wünsche eine neue Leitung der Reichsbank. Doch trotz der grundlegend falschen Politik, die Reichsbankpräsident Rudolf Havenstein zum Leidwesen der deutschen Wirtschaft betrieben habe, wolle er seinen Posten nicht aufgeben.

                     Der Fall Havenstein.
               Die Politik der Reichsbank.

   Zu allen politischen Sorgen und wirtschaft-
lichen Aufregungen ist zum Wochenwechsel der
Fall Havenstein getreten. Man erinnert sich wohl
noch der Rede, die der neue Reichsfinanzmini-
ster Dr. Hilfferding im Haushaltsausschuß des
Reichstages hielt. Als er dort die trostlose Fi-
nanzlage des Reiches mit verkennenswerter Of-
fenheit klarlegte, erwähnte er auch u.a., daß
sich auch die Politik der Reichsbank unbedingt
ändern müsse. Schon damals wußten Eingeweihte
daß das ganze Kabinett Stresemann vor allem
eine Aenderung in der Leitung der Reichsbank
wünscht. Die Politik wird sich dann von selbst
ändern. Unterdessen hat sich eine Sitzung des
Kabinetts eingehend mit dem Fall Havenstein
beschäftigt und sich einstimmig gegen das Blei-
ben Havensteins auf seinem Posten ausgesprochen.


   Die Oeffentlichkeit, die über diese Vorgänge
hinter den Kulissen wieder einmal recht schlecht
unterrichtet wurde, war schon längst der An-
sicht, daß Dr. Havenstein die Folgen des Um-
schwungs ziehen und seinen Abschied einreichen
werde. Man konnte sich nicht denken, daß ein
so erfahrener und weitblickender Beamter Wider-
stand leisten und an seiner Stellung kleben wolle.
Ja, es war schon die Rede davon, den Reichs-
tag zur Einfügung eines Ueberalterungsparagra-
phen in das Autonomiegesetz der Reichsbank zu
veranlassen, um Havenstein und seine ältesten
Mitarbeiter zum Ausscheiden zu bringen. Dazu
kamen noch Personalkämpfe und Streikdrohun-
gen im Betriebe der Reichsbank, anscheinend mit
dem Ziele, das Reichsbankdirektorium zu pro-
vozieren und irgendwie zu kompromittieren. Aber
Havenstein schrieb kein Abschiedsgesuch, sondern
er hielt vor dem Zentralausschuß der Reichs-
bank eine große Rede, die von den beteiligten
Banken mit einem etwas auffälligen „einstim-
migen Vertrauensvotum“ und von dem dienst-
ältesten Direktor der Reichsbank sogar mit ei-
ner herzlich gut gemeinten „Solidaritätserklä-
rung“ unterstrichen wurde. Es war eine stram-
me, aber recht unzeitgemäße Parade im mili-
tärischen Dienststil.
Was enthielt die Verteidigungsrede – an der
Börse witzelte man sofort über den Schwanen-
gesang – Havensteins? Sie brachte die voll-
ständige Unterwerfung unter die Ansichten des
Kabinetts. Die Unterwerfung war nur schwach
bemäntelt durch die Ausrede: grundlegende Ver-
änderungen der Finanzlage hätten den Reichs-
bankpräsidenten die Befolgung von früher un-
möglichen Richtlinien jetzt möglich gemacht. Die
unmöglichen Richtlinien stammten von Hilffer-
ding, als er noch Mitglied des Reichswirtschafts-
rates war. Glaubte Dr. Havenstein wirklich
auf einmal mit den Richtlinien des Ministers
Hilfferding auskommen zu können? Er sagte,
er glaube eine veränderte Politik der Reichsbank
schon deshalb vertreten zu können, weil inzwischen
das Kabinett die Notwendigkeit solider Aus-
gabedeckung durch Steuereinnahmen zum Grund-
gesetz erhoben habe. Aber das ist ja der Vor-
wurf, den man immer gegen Dr. Havenstein
erhoben hat, daß er sich dem hemmungslosen
Wachsen der schwebenden Schulden nicht wider-
setzte. Darüber besteht wohl nirgends mehr ein
Zweifel, daß die gesamte bisherige Geschäfts-
politik der deutschen Reichsbank jede wirksame
Bekämpfung der Inflation verhinderte. Es sind
nicht einzelne Mißgriffe und Unterlassungen, die
man dem Präsidenten Havenstein zum Vorwurf
macht, sondern die Verkennung des furchtbaren
Zusammenbruchs, in den das Reich durch die
allgemeine Politik der Reichsbank geriet.
   Dr Havenstein wird nicht bestreiten können,
daß er, der sich seinerzeit weigerte, 200 Millionen
seines Goldbestandes für Interventionszwecke
herzugeben, als noch die Möglichkeit bestand, die
Valuta zu retten, unterdessen den Goldbestand um
500 Millionen geschwächt und außerdem Devisen-
bestände aus der Zeichnung des Dollarschatzes
geopfert hat, ohne die Mark dauernd stützen zu
können. Trotz dieses Opfers ist der Dollar-
kurs jetzt in die Millionen gestiegen. Havenstein
sagt: Ich bin durch den Ruhrkrieg zu diesem
Vabanquespiel gezwungen worden. Gerade dieser
Einwand durfte nicht kommen. Havenstein hätte
beizeiten die Finanzierung der Ruhraktion mit
der Notenmaschine abdrosseln und dafür Steuern
erzwingen müssen. Der Präsident der Reichsbank
ist nicht der Kassierer des Reiches, der achselzuk-
kend Schecks auszahlt, sondern ein Staatsmann
der Politik lretibt. Havensteins Politik war
falsch. Er kann nicht bleiben und sagen: Nun
mache ich mit der neuen Regierung die richtige.

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Stadtarchiv Troisdorf (31. August 2023). 31. August 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 12. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/afqr


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