Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 30. August 1923
„Schieber“ häuften ihr Vermögen auf Kosten der restlichen Bevölkerung an. Ihnen beizukommen, sei dringend geboten; die Regierung habe dies aber mit den jüngst erlassenen Notverordnungen versäumt.
Der Schieber und die Notverordnung.
Ein Loch im Netz.
Was ein Schieber ist, weiß jedermann. Es
ist jene zeitgemäße Wirtschaftsexistenz, die durch
den Ruin der Währung und durch die Verarmung
von Millionen Menschen reich geworden ist. Als
er noch „Kriegsgewinnler“ hieß, suchte ihm die
Steuerpolitik das erraffte Vermögen durch Wert-
zuwachssteuer, progressive Einkommensteuer, Ka-
pitalfluchtgesetz usw. wieder abzujagen. Aber sehr
vergeblich. Neureich zog sich in seine geschmack-
los aber üppig ausgestattete Etage zurück, hielt
sich Telephon und ein Auto oder auch zwei, und
raffte weiter. Daher auch der besondere Spitz-
name Etagenschieber (armer, geschätzter Mieter
ohne Grundbesitz) oder Telephonschieber (schließt
alle Geschäfte durch den Fernsprecher ab). Sein
wachsendes Vermögen legte Raffke – diese Be-
zeichnung ist durch ein Preisausschreiben berühmt
geworden – entweder in Waren an, die er
nicht zu versteuern brauchte, oder in Devisen,
die er verschweigen konnte.
Als man in der vorigen Woche daranging,
den Zusammenbruch von Staat, Wirtschaft und
Volk in letzter Stunde durch außerordentliche
Steuergesetze zu verhüten, war Gelegenheit ge-
geben, die Drückeberger-Armee der Schieber an
ihre tiefe Verschuldung gegenüber dem Vaterlande
soweit sie Deutsche sind, oder vom deutschen Elend
leben, zu erinnern. Es ist wieder nicht ge-
schehen! Weder das neue Steuergesetz noch die
Devisenverordnung des Finanzministers Hilffer-
ding wendet sich an die Schieber. Die Rhein-
Ruhrabgabe? Sie knüpft an die Vorauszahlung
der Einkommensteuer an. Der Schieber hat sein
Einkommen nie richtig angegeben und man
kommt ihm niemals auf die Schliche. Die Be-
steuerung der Betriebe? Der Schieber hat keinen
Betrieb. Er macht höchstens Betrieb, bei den
Nackttänzen und Damenboxkämpfen, die ihm al-
lerdings soeben zu seinem Leidwesen durch schnö-
des Eingreifen der Polizeibehörden vor der Nase
weg verboten werden. Die Landwirtschafts-
steuer? Was hat der Schieber mit der Landwirt-
schaft zu tun? Nur, soweit er vielleicht da und
dort eine Ernte aufkauft und sie zurückhält
oder sie im Kettenhandel verschiebt. Diese
Steuer aus der hungernden Stadtbevölkerung
streicht er ganz allein ein. Endlich die Auto-
mobilsteuer. Sie tut ihm nicht weh. Meist hat
er schon bei dem bisherigen Steuersatze einen Trick
gefunden, um wenig oder nichts zu bezahlen.
Geradezu ins Fäustchen aber lacht sich der
Schieber angesichts der Devisenabgabe. Mit sei-
ner auf das Wesen dieser bitteren Zeit gerichteten
Intelligenz hat er längst heraus, daß die Notver-
ordnung sich auf diejenigen Steuerzahler be-
schränkt, die zur Zwangsanleihe veranlagt sind,
und die sog. Brotabgabe leisten müssen. Nur
bei diesen Steuerzahlern vermutet der Staat De-
visenbesitz. Das war steuertechnisch die prak-
tische Lösung des eiligen Problems. Aber gerade
durch dieses Loch im Netz schlüpft hohnlachend
der Schieber. Er ist nicht oder doch ganz gering
zur Zwangsanleihe veranlagt, weil er sein wirk-
liches Vermögen verschwiegen hat. Er wird also
nicht nach Devisen befragt. Er kommt nicht
zum Eid. Aber gerade er ist der große Devi-
sen-Hamsterer. Er sitzt wie der Lindwurm
Fafner auf seinen Schätzen. Er hat die frem-
den Banknoten in heimlichen Sofas oder zwischen
den Blättern seiner ledergebundenen, goldschnitt-
verzierten Bibliothek. Woher er die Edelvaluten
hat? Nicht von der Bank, dort konnte er
sie jedenfalls seit einiger Zeit nicht mehr kaufen.
Sondern aus ganz privaten Quellen, von den An-
gehörigen der Fremdenindustrie, von Kellnern,
Hotelportiers, Friseuren, Pensionsinhaberinnen,
von kleinen Leuten, die auch ein bißchen hamstern
und spekulieren wollen, dann aber plötzlich wieder
deutsches Geld brauchen, weil die Teuerung steigt.
Der Schieber – in Italien heißt er immer noch
Haifisch – hält aus.
Wie kommt man nun dem Schieber bei?
Wie holt man aus ihm die Devisen heraus?
Wie stopft man die Lücke im Gesetze? Ant-
wort: Durch schärfere Beobachtung des wilden
Devisenverkehrs, durch Ueberwachung der De-
visenkassen und der schwarzen Börsen vor den
Wechselkiosken welch letztere ja heute in den
Straßen der Großstädte häufiger zu finden sind
als – Bedürfnisanstalten, auch durch gelegent-
liche Razzias in den Luxusgaststätten, wo man
sich nicht langweilt und wo neuerdings fast nur
noch Schieber zu treffen sind, endlich Ausdehnung
der Eidespflicht auf alle Banksafesinhaber und
solche Personen, bei denen man Devisenbesitz ver-
muten kann. Polen, ein Emporkömmling-Staat
dem man nicht viel Weisheit und Erfahrung
zutraute, hat mit seinem Feldzug gegen die Schie-
ber guten Erfolg erzielt. Sollte das in Deutsch-
land mit seinem immer noch soliden Verwaltungs-
apparat nicht möglich sein? Dr. Fritz Auer.
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Stadtarchiv Troisdorf (30. August 2023). 30. August 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 14. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/afqp