Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 14. August 1923

Nach dem Rücktritt des Reichkanzlers Dr. Wilhelm Cuno übernimmt Dr. Gustav Stresemann die Neubildung des Kabinetts. Verschiedene Personen werden zur Besetzung des neuen Kabinetts ins Spiel gebracht und es wird formuliert, welche Ziele die neue Regierung haben sollte.

             Der Rücktritt Dr. Cunos.
Dr. Stresemann mit der Bildung des Kabinetts betraut.

Abg. Stresemann
wurde als Nachfolger Cunos mit der Neubildung
des Reichskabinetts betraut.

Reichskanzler Dr. Cuno hat Sonntag nachmittag
     dem Reichspräsidenten die Demission des
    Kabinetts angezeigt. Der Reichspräsident
    beauftragte den Abgeordneten Dr. Strese-
    mann mit der Neubildung des Kabinetts.
    Dr. Stresemann hat den Auftrag angenom-
    men und wird versuchen, auf der Grund-
   lage der großen Koalition die Regierung zu
   bilden.

                   Die große Koalition.
   Das neue Kabinett Stresemann dürfte das Ka-
binett der Koalition sein. Von Persönlichkeiten, die
als Regierungsmitglieder in Frage kommen, werden
Hilferding und Professor Radbruch von den Sozial-
demokraten der frühere Reichsinnenminister Koch
von den Demokraten und der gegenwärtige Außenmi-
nister v. Rosenberg genannt, dessen Verbleiben von
der Deutschen Volkspartei gewünscht wird. Ander-
seits verlautet aber auch, dass Hilferding Reichsbank-
präsident werden soll. Eine Nachricht von der Ab-
dankung Havensteins liegt bis zur Stunde jedoch
nicht vor.

           Die Politik der neuen Regierung.
   Mtb. Berlin, 13. Aug. Die Politik der neuen
Regierung formuliert die Vossische Zeitung in folgen-
den klaren Worten: Aktive Außenpolitik zur endgül-
tigen Lösung der Reparationsfrage unter Wahrung
der Integrität des Reiches und der Einheit der
Nation.
   Das Kabinett der großen Koalition hat nach dem
Berliner Tageblatt die erste Aufgabe, Vertrauen,
Ruhe und Ordnung wiederherzustellen. Nur eine Re-
gierung, die auf festem Boden steht, so betont das
Blatt, erscheint dem Auslande als Faktor, mit dem
zu rechnen ist. Poincare warte auf den Bürgerkrieg,
aber die Haltung des Volkes werde ihn enttäuschen.
Wenn aus der furchtbaren Krise statt Auflösung und
Chaos eine neue Festigung hervorgehe, so werde die
Welt doch wohl begreifen, daß Deutschland lebe.
Der Vorwärts bringt anlässlich des zehnten To-
destages Bebels einige seiner Aussprüche, darunter
folgende: Die Sozialdemokratie wird gegen jede
Macht Front machen, die deutsches Gebiet
antastet. – Die Sozialdemokratie würde jeden Ver-
such, dem Vaterlande Stücke wegzureißen, mit allen
ihr zu Gebote stehenden Kräften und mit dem letz-
ten Atemzuge zurückweisen.
Die Germania stellt fest, daß ein Rücktritt des
Kabinettes Cuno zu keiner Weise etwas an der Ent-
schlossenheit Deutschlands und des Reichstages än-
dere, den passiven Widerstand aufrechtzuerhalten.

     Die letzten Stunden des Kabinetts Cuno.
   Berlin, 12. Aug. Die Beratungen im Reichs-
tag dauerten den ganzen Tag an. Um 11 Uhr vor-
mittags hatte die Deutsche Volkspartei eine Frak-
tionssitzung, die jedoch bald wieder abgebrochen wurde.
Um 12 Uhr trat das Kabinett zu einer einstündigen
Sitzung zusammen. Darauf verhandelte der Kanzler
mit den Führern der bürgerlichen Arbeitsgemein-
schaft, worauf dann der Reichstag sofort wieder zu
einer Beratung zusammentrat. Um 5 Uhr nachmit-
tags wurde dem Kanzler das Ergebnis dieser Be-
ratungen mitgeteilt, worauf dann Dr. Cuno dem
Reichspräsidenten die Demission des Kabinetts mit-
teilte.

Das Mißtrauensvotum der Sozialdemokraten.
  Wtb. Berlin 11. Aug. Die Sozialdemokra-
tische Reichstagsfraktion nahm heute eine Entschließung
an, in der der Regierung Cuno das Mißtrauen aus-
gesprochen und gleichzeitig erklärt wird, jede Regie-
rung zu unterstützen, die sich folgende Forderungen
zu eigen mache:
   Die Erfassung der Sachwerte als Garantie für
die wertbeständige Anleihe und der Eintritt Deutsch-
lands in den Völkerbund, größte Aktivität in der
Außenpolitik, energische Durchführung der beschlosse-
nen Steuermaßnahmen, durchgreifende Steuer- und
Währungsreform, unbedingte Einführung der Gold-
kredite und Goldlöhne, sowie Loslösung der Reichs-
wehr von allen illegalen Organisationen.