Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 12. August 1923

Angesichts der angespannten wirtschaftlichen und politischen Situation wünsche sich die Mehrheit der Deutschen ein hartes Durchgreifen der Regierung. Stattdessen widersprachen sich Reichskanzler und Finanzminister in ihren Aussagen, und der Reichstag verlängere die Redezeit. Es brauche einen entschlossenen Mann an der Macht – wie es im nachrevolutionären Frankreich Napoleon gewesen sei.

Lange Reden. 
         Regierung, Reichstag und Publikum.

 Das Aktionsprogramm des Reichskanzlers
Cuno, das sich im gedruckten Text besser liest, als
sich die Rede angehört hat, ist in weiten Kreisen
der tieferregten deutschen Oeffentlichkeit mit Ruhe
und Verständigkeit aufgenommen worden. Die
auffallende Resignation, mit der Dr. Cuno die
außenpolitische Lage betrachtete, entspricht durch-
aus der allgemeinen Stimmung, und man weiß
ihm Dank, daß er den Hauptteil seiner Ausfüh-
rungen den Steuerfragen, der Wirtschaftsreform

und der innerpolitischen Einigung widmete. Für
diplomatische Schachzüge war es nicht der rechte
Augenblick und man kann sich vom deutschen
Standpunkt aus nur freuen, daß sowohl die Pa-
riser, wie die Londoner Presse mit dieser Kanz-
lerrede zunächst nichts anzufangen weiß.
   Weit weniger Genugtuung herrscht im deut-
schen Publikum über die Rede des Reichsfinanz-
ministers. Man kann sagen den so sehr absichtlich
zur Schau getragenen Optimismus des Herrn
Dr. Hermes nicht begreifen, zumal er selbst auf
alle seine Hoffnungen die kalte Dusche des Zwei-
fels folgen ließ. Die Maschinerie seiner Büro-
kratie, so gestand er, arbeite nicht so schnell, wie
das von der Offentlichkeit für notwendig ge-
halten werde. Erst im Herbst werde er einen
Gesetzentwurf über die Aenderung der Einkom-
mensteuer einreichen. Die Wirkung der jetzt vor-
gelegten Steuergesetze könne nicht auf allen Ge-
bieten sofort eintreten. Das Problem lasse sich
nicht mit raschen Gewaltmaßnahmen lösen usw.
Die Ueberzeugung der Mehrheit des deutschen
Volkes, geht im Gegenteil dahin, daß nur sofor-
tige Operation und ein geradezu diktaturmäßiges
Auftreten der Regierung den Zusammenbruch
der Wirtschaft und der inneren Einheit ver-
hindern kann.
   Ganz besonders überraschte eine peinlich deut-
liche Meinungsverschiedenheit zwischen dem Kanz-
ler und dem Finanzminister in der Währungs-
frage. Dr. Hermes erklärte, es könne sich bei
der Schaffung einer festen Rechnungseinheit auf
einer Art Goldbasis nicht etwa um eine Aende-
rung der deutschen Währung handeln, und an
anderer Stelle: Die Mark dürfe ihrer Funk-
tion als Wertmesser auf keinen Fall entkleidet
werden. Dr. Cuno aber versicherte, daß durch
die Schaffung der wertbeständigen Anleihe und
durch ihre Zerstückelung „dem Handel ein wert-
beständiges Zahlungsmittel eröffnet werden soll.“
was ist nun richtig? Als im nachrevolutiö-
nären Frankreich von 1796 das Papiergeld der
Assignaten zur billigen Tapezierung von Zim-
mern verwendet wurde, gab man Pfandbriefe auf
die Staatsforsten als „wertbeständiges“ Zah-
lungsmittel. Aber der neue Wertmesser war
unklar und unehrlich fundiert. Er versank rasch
im selben Abgrund, der Entwertung, wie die
Assignaten. Die Maschinerie des damaligen Fi-
nanzministers versagte, und alle schönen Regie-
rungsreden erwiesen sich als schwächliche Be-
schwichtigungsversuche, bis die eiserne Faust Na-
poleons dreinschlug.
   Man wird in den nächsten Tagen innerhalb
und außerhalb der Parlamentsmauern mancher-
lei Beruhigungspillen zu schlucken bekommen.
Die Banken raten ihrer Kleinkundschaft (die
ja immer die Kosten eines Rückschlages trägt),
die Effekten zu verkaufen, weil demnächst „alle
Kurse auf die Hälfte stürzen“. Aus Newyork
kommen Depeschen: die von starker Markbesse-
rung zu melden wissen. Als ob durch einen vor-
übergehenden Fall des Dollars von 5 Millionen
auf, sagen wir, eine Million Mark an dem deut-
schen Währungselend und seinen nächsten Fol-
gen irgend etwas geändert wäre! Der Ladenstreik
des Kleinhandels hat eine neue Kluft im Wirt-
schaftsleben aufgezeigt, die durch eine scheinbar
starke Haltung der Regierung nicht überbrückt
wird. Der Gegensatz zwischen Produktion
und Verbraucherschaft muß in kürzester Frist
zum Austrag kommen, und es gibt nur eine Lö-
sung des Konfliktes: Schaffung wertbeständigen
Geldes.
   Eine neue drohende Wolke am Horizont
kommt hinzu. Die Streikneigung der Buchdruk-
der. Nicht nur, daß die Zeitungspresse in dieser
Zeit höchster Spannung und notwendiger Aus-
sprache dadurch gefährdet ist. Auch der Druck
der für die jetzige Teuerung erforderlichen Geld-
scheine steht in Frage. Eine solche unvorberei-
tete Stilllegung der Notenpresse würde zur Explo-
sion der politischen Leidenschaften und zum Bür-
gerkrieg führen. Statt die Redezeit auf 1 1/2
Stunden zu verlängern, sollte der Reichstag han-
deln und einem entschlossenen Manne Macht und
Verantwortung für ein beschleunigtes Rettungs-
werk in die Hand geben.