24. Juli 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 24. Juli 1923

Fritz Auer geht den Vorzeichen einer Katastrophe nach. Die Devisenpolitik der Reichsbank wird kritisch beleuchtet.

                                    Devisen-Hysterie.
                                Vor dem Einsturz.

   Bevor ein Haus einstürzt, zeigen sich Risse
und Sprünge. Es bröckelt hier und kracht dort.
Die Vorzeichen der Katastrophe. Sie warnen
auch in der Wirtschaftspolitik. Man erlebte sie
vor dem Zusammenbruch der sogenannten Stüt-
zungsaktion der Reichsbank und sie treten jetzt
auch unter dem Druck der neuen deutschen De-
visenpolitik auf. Sie sind die Künder des nahen
Einsturzes der gesamten Finanzwirtschaft. Was
sich am vergangenen Donnerstag an der Ber-
liner Devisenbörse ereignete, war schon ein Teil-
einsturz.
   Was geschah? Die neue Devisenpolitik der
Reichsbank besteht, kurz gesagt, in der Zen-
tralisierung des Devisenmarktes in Berlin
in der Diktatur des amtlichen Kurses und in
der Repartierung, d. h. in der Zuteilung eines
Prozentsatzes der Devisen auf die Anmeldungen
der Banken. Außerdem verlangt („erwartet“)
die Reichsbank, daß für die Ordres der Bank-
kunden Bardeckung vorhanden sein müsse. Am
Donnerstag stellte der Direktor des Berliner
Devisenbüros der Reichsbank fest, daß für rund
20 Billionen Devisen angefordert werden. Diese
Summe könne unmöglich in bar daliegen, sie
gehe weit über die gesamten verfügbaren Gelder
der Berliner Großbanken hinaus. „Die Herren
Bankvertreter müssen streichen.“ Das wollten und
konnten sie nicht. Hierauf schritt der Direktor
zur Repartierung: Nur ein Viertel vom Hun-
dert der angemeldeten Ordres wird zugeteilt.
Zur Strafe für die maßlosen „Anmeldungen“
der Devisenkäufer aber drohte die Reichsbank
die Einstellung des gesamten Wechseldiskontge-
schäfts und des Lombardgeschäfts bei den Dar-
lehnskassen an. Mit anderen Worten: Die
Reichsbank kündigte ihre wichtigste volkswirt-
schaftliche Tätigkeit.


   Es war ein sensationeller Schlag. Er nahm
sich aus wie der Zornausbruch einer hysterischen
Frau, war aber vielleicht garnicht impulsiv, son-
dern wohl überlegt erfolgt. Die Reichsbank
will eben um jeden Preis die Beschränkung
der Devisenkäufe auf das allergeringste Maß
erzwingen. Aber schon die Ankündigung, daß
Wechsel nicht mehr diskontiert werden, hat das
ohnehin schwer leidende Wirtschaftsleben in sie-
dende Unruhe gebracht. Niemand zweifelt, daß
weite Kreise von Handel und Industrie mit
ihren Devisenforderungen Mißbrauch getrieben
haben. Die Reichsbank hat das viel zu spät
erkannt. Wer Geld, Kredit und die Er-
laubnis hat, Devisen zu kaufen, der sucht sich aus
der sterbenden Mark zu retten. Der mensch-
liche Egoismus kämpft hier auf seiner letzten
Schanze gegen den Währungsverfall.
   Der Gegenschlag der Reichsbank traf aber
auch sofort wieder die Unschuldigsten. In den
Kreisen des soliden Einfuhrhandels herrscht be-
reits die größte Verwirrung. Wie soll man sich
bei fehlendem Wechseldiskont in Eile die nötigen
Devisen beschaffen? An neue Einkäufe ist im
Augenblick nicht zu denken, auch nicht bei aus-
nahmsweise 30prozentiger Devisenzuteilung für
Lebensmittelindustrien. In verschiedenen Unter-
nehmungen, die auf den Bezug ausländischer
Rohstoffe angewiesen sind, beginnt die Betriebs-
einschränkung.
   Waren diese Aufregungen und Schädigungen
nötig? Die Reichsbank hat wieder einmal einen
erschreckenden Mangel an Psychologie verraten.
Nur blinder Bürokratismus konnte von den
Bankvertretern plötzliche Abstriche an den von
ihrer Kundschaft angemeldeten Devisen verlangen.
Wie stellt sich das der Devisendirektor vor?
Auch die Forderung, daß die Kundschaft bar
vorausbezahlen muß, ist technisch durchaus nicht
immer möglich. Schon eine Reichsbankgiroüber-
weisung aus Städten des Reiches nach Berlin
deren Ankündigung doch Bardeckung ist, geht
oft mit erheblicher Verzögerung vor sich. Auch
andere Ueberweisungen dauern mehrere Tage.
Sodann bedeutet es ja einen sicheren Geldent-
wertungsverlust, wenn man im voraus aufgefor-
derte Devisen bezahlt, auf die man höchstens
3 Prozent zugeteilt bekommt. 97 Prozent sind
also der Geldentwertung ausgesetzt.
   Die Reichsbank hat eben durch ihre Repar-
tierungskünste alles verdorben. Der zweite große
Fehler war die Konzentration in Berlin. Das
Ausland, dessen Orders für Berlin schon seit
Tagen völlig wegfallen, hat sich schaudernd ab-
gewandt. Der Reichsbank ist dadurch jede zü-
gelnde Kontrolle über diesen Teil des Devisen-
geschäftes verloren gegangen, und es gibt ja jetzt
zwei Kurse für die arme Mark, einen wirk-
lichen und einen amtlichen. Soll nun auch das
Inland kopfscheu werden? Die „moralischen“
Mittel der Reichsbank haben versagt. Weiß die
Reichsregierung vielleicht noch ein neues Devisen-
gesetz, um das halbe Dutzend vollzumachen? Nur
ein Wunder kann noch retten. Nur ein über-
menschliches Genie findet vielleicht noch einen
Ausweg.                     Dr. rer. pol. Fritz Auer.

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Stadtarchiv Troisdorf (24. Juli 2023). 24. Juli 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 15. November 2025 von https://doi.org/10.58079/afkc


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