7. Juli 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 7. Juli 1923

Angesichts der fortschreitenden Markentwertung droht Deutschland eine Streikwelle.

                       Die schwarze Wolke.
Von einem volkswirtschaftlichen Mitarbeiter.

   Die schwarze Wolke in der ohnehin so trüben
politischen Lage ist der Streik. Wegen der neuen
Löhne im allgemeinen und wegen des wertbe-
ständigen Lohnes im besonderen scheint die La-
wine einer großen Ausstandsbewegung loszubre-
chen oder vielmehr, sie ist schon im Rollen. Im
Metallgewerbe fing es an. Ehe noch der Vor-
stand des Metallarbeiterverbandes und die ge-
wählte Streikleitung über den „Marschbefehl“,
der die Streikenden aus den Fabriken ruft,
einig geworden waren, legten die Metallarbeiter
einer Reihe kleinerer und mittlerer Betriebe die
Arbeit nieder. Das zeugt wieder einmal von
wenig Disziplin, aber es ist immer so gewesen.
Ale großen Streikgewitter fangen mit diesem
flackernden Wetterleuchten an.


   Im Baugewerbe war man mit dem Streik
noch rascher bei der Hand. Der Schiedsspruch
hatte hier für die Zeit vom 28. Juni bis 4.
Juli einen Stundenlohn von 9500 Mk. vorge-
schlagen. Die Arbeiter waren damit zu frieden.
Aber die Arbeitgeber lehnten ab. Sofort wurde
die Tätigkeit auf allen Baugerüsten eingestellt.
Nur die Lehrlinge dürfen bleiben und den Mörtel
unnütz rühren. Im Holzgewerbe verlangten die
Arbeiter 11 000 Mark für die laufende Woche.
Die Arbeitgeber wollen nur 9500 zahlen. Ein
halbes Hundert kleinerer Betriebe hat die For-
derung der Arbeiter über den Kopf des Arbeit-
geberverbandes bewilligt. Also auch auf dieser
Seite keine Disziplin. Der Streik brach trotzdem
aus. Man schätzt die Zahl der Ausständischen
im Holzgewerbe bereits auf 100 000.
   Führend sind natürlich die Metallarbeiter.
Hier kommen für Großberlin 300 000 Arbeiter
und Arbeiterinnen in Betracht’  Um auch hier
die Lohnzahlen zu nennen: Der Schiedsspruch
sah für die Woche vom 2. bis 7. Juli einen
Spitzenlohn von 9000 Mark für die Stunde vor.
Außerdem sollte der auf die Lohnerhöhung der
vorigen Woche gezahlte Vorschuß von 40 000
Mark für Arbeiter über 21 Jahre und 30 000
Mark für Arbeiter unter 21 Jahren nicht ver-
rechnet, also sozusagen draufgeschenkt werden.
Damit hätte sich der Stundenlohn für die Woche
vom 26-30. Juni auf 7300 Mark erhöht, wäh-
rend der von den Metallarbeitern abgelehnte
Schiedsspruch nur einen solchen von 6500 Mark
vorsah. Die Mindestforderung der Arbeiterver-
treter aber – wir müssen so ausführlich sein,
um einen genauen Einblick in dieses Ringen
zu geben, – beträgt 10 000 Mark die Stunde
für die Vorwoche und 12 000 Mark pro Stunde
für diese Woche. Die Arbeitgeber schlagen, die
Hände über dem Kopf zusammen. Die Arbeiter-
vertreter zucken die Achsl. Also Streik! Aber
der Streik wäre in letzter Minute vielleicht doch
noch vermieden werden, wenn nicht der Teue-
rungsindex als unerfüllte Forderung der Ar-
beitnehmer hinzugekommen wäre. Die Arbeiter-
vertreter wollten für jeden Fall dauernde Teue-
rungszuschläge zu dem Stundenlohn festgesetzt
wissen, die automatisch bei jeder neuen Geld-
entwertung gezahlt werden sollten. Hier zün-
dete um bei unserem alten Bilde zu bleiben, der
Blitz aus der schwarzen Wolke. Die Spannung
kam aus den neuesten Vorgängen im Lebens-
mittelhandel. Die ungeheure Markverschlechte-
rung der letzten Tage hat es mit sich gebracht,
daß der Lebensmittelgroßhandel trotz ungeheurer
Scheinverdienste nicht mehr in der Lage ist, Kolo-
nialwaren in der erforderlichen Menge zu im-
portieren. Auch aus dem Inland sind die land-
wirtschaftlichen Produkte bei den neuen Preisen
einfach nicht mehr zu beschaffen. Die Groß-
händler verlangen jetzt vom Kleinhandel Vor-
ausbezahlung auf Grund einer gewissen Fest-
markberechnung. Der Kleinhändler droht infol-
gedessen dem Verbraucher schon jetzt außeror-
dentliche Preissprünge für für die nächste Zu-
kunft a. Ist es ein Wunder, wenn der Fest-
besoldete Konsument in seiner Verzweiflung nur
noch eine Rettung in der Indexberechnung sieht?
Was für die Ware gilt, verlangt er jetzt auch
für seinen Lohn.
   Die Lage ist furchtbar ernst. Das Existenz-
minimum der Arbeiterschaft ist trotz der gewal-
tig gesteigerten Lohnziffern in Wahrheit vielfach
unterschritten. Die Metallarbeiter können da-
rauf hinweisen, daß in ihrer Industrie der Lohn-
kostenanteil heute nur noch 6–8 v. H. der ge-
samten Produktionskosten beträgt. Vor dem
Kriege belief er sich auf 24 v. H.! Industrie,
Handel und Landwirtschaft krallen sich an die
Festmarkkalkulation. Der Arbeiter greift nun
auch nach dieser Rettungsplanke. Wenn der
Staat, also das Reichsarbeitsministerium, nicht
die Aussicht auf eine baldige Gesetzlichkeit des
wertbeständigen Lohnes eröffnet, ist wenig Hoff-
nung, daß die deutsche Wirtschaft den Streik-
Sturm übersteht.                       Dr. rer. pol. Fritz Auer.

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Stadtarchiv Troisdorf (7. Juli 2023). 7. Juli 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 8. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/afhd


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