Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 22. November 1923

„Sie haben nur Platzpatronen, drauf auf die Feiglinge!“ Landrat Adolf Lucas veröffentlicht einen Bericht über die Vorgänge der Ohligser Unruhen am 17. November 1923. Die Beerdigung der beiden Todesopfer findet auf dem Kommunalfriedhof in Ohligs statt.

        Ohligs, 22. Nov[ember]. Nochmals die Samstagsunruhen. Im Hinblick
auf die verschiedenartigen Darstellungen des Samstagsvorfalles in
Ohligs und die Folgerungen, die daran geknüpft werden, hält Landrat
Lucas es für angezeigt, seinerseits nach Feststellung des Sachverhalts
folgendes zu erklären: „Erwerbslose und Neugierige hatten sich schon
morgens gegen 9 Uhr zu etwa 3000 Mann vor dem Rathaus in Ohligs
versammelt und nahmen eine immer bedrohlichere Haltung ein. Sie
redeten von „Rathaus stürmen“ und beschimpften in lauten Rufen
Bürgermeister und andere. Die Polizeiverwaltung in Ohligs sah sich
angesichts der so großen Menge und ihrer Haltung nicht in der Lage,
die Sicherheit im Rathause mit ihren Kräften allein zu gewährleisten.
Der Verkehr auf der Straße war gänzlich gestört. Sie forderte daher
das Schupokommando im Gasthof Viktoria auf, sich bereit zu halten.
Die Demonstranten machten nun gegen 12 Uhr, nachdem die Erregung
der Masse immer größer geworden war, Versuche, die Entwaffnung
der Schupoleute herbeizuführen. Einige von ihnen drangen in das
Wachtlokal ein und forderten direkt dazu auf, die Waffen abzugeben.
Die Schupobeamten verließen infolgedessen den Gasthof Viktoria, der
von allen Seiten zugänglich ist, in welchem sich auch die Stempelstelle
für Erwerbslosen befindet, weil er ihnen zu weiterem Verbleiben für
ungeeignet erschien. Sie begaben sich zum Rathaus, wozu sie auch am
Morgen schon die Weisung von der englischen Behörde erhalten hatten.
Demonstranten drangen nun auf dem Wege zum Rathaus immer mehr
gegen die Schupobeamten vor, beschimpften sie, warfen mit Steinen,
ein Beamter wurde mit einer Zaunlatte geschlagen, bei einem anderen
versucht, ihm den Säbel zu entreißen. Dies konnten sich die Beamten
natürlich nicht gefallen lassen, ohne ihre Lage mit jedem Augenblick
ernster zu gestalten. Das Zurückstoßen der Leute mit dem Gewehr
und das Eingreifen des Wachtmeisters mit dem Säbel nutzte nichts,
die Werfer dicker Steine waren damit nicht zu erreichen. Infolgedessen
gaben zunächst einige Schupobeamte in Notwehr Schreckschüsse ab, die
aber aufgenommen wurden mit dem Rufe: „Sie haben nur Platz-
patronen, drauf auf die Feiglinge!“ Als dann die Menge von neuem
auf die Polizeibeamten eindrang, wurde scharf geschossen. Von da ab
entwickelte sich die Sache weiter zwangsläufig. Das Einstellen des
Schießens wurde von dem Kommandoführer selbständig angeordnet,
nachdem die Menge vor dem Rathaus zerstreut war. Als der später
von Benrath kommende Kommissar Gutthausen erschien, wurde auch
dieser bedroht, als Bluthund usw. beschimpft, mit Steinen geworfen
und zur Abgabe der Waffen aufgefordert, sodaß auch er von der Waffe
Gebrauch machen mußte. Auf dem Bürgermeisteramt wurden einige
Fensterscheiben eingeworfen und die Polizeibeamten ebenfalls bedroht
Einer von ihnen wurde durch einen kräftigen Steinwurf im Gesicht
erheblich verletzt. Geschossen wurde von ihnen nicht, obschon sie sich
bei den Vorfällen damit im Recht befunden haben würden, wie denn
überhaupt hiermit festgestellt wird, daß sich die Polizei, insbesondere
auch die Schupo, bei den ganzen Vorgängen durchaus einwandfrei
verhalten, sogar eine sehr anerkennenswerte Langmut bewiesen hat.
Von Provokation seitens der Schutzpolizei kann keine Rede sein. Die
Schuld trifft nur die Demonstranten. Es ist dringend zu wünschen,
daß ähnliches sich nicht wiederholt und daß den Polizeibeamten, die
ihr schwieriges Amt pflichtgemäß versehen, die nötige Achtung ent-
gegengebracht und der Widerstand gegen die Staatsgewalt unnach-
sichtlich gebrochen wird. Dieses ist nur möglich, wenn die Demon-
strationen mit ihren gefährlichen Auswirkungen unterbleiben und die
die [sic!] schon so oft und nachdrücklich erhobenen Warnungen endlich befolgt
werden. Nach einem Demonstrationsflugblatt ist zwar das Gegenteil zu
erwarten. Sie werden sich aber täuschen. Die Folgen treffen die Schuldigen.
Jugendliche und Neugierige waren auch diesmal wieder reichlich vertreten
und hinterher wie gewöhnlich die Hauptleidtragenden. Sie seien gewarnt.
Von der ganzen Bevölkerung aller Parteien wird erwartet daß sie
in der gegenwärtigen, durch die Arbeitslosigkeit und die Ernährungs-
verhältnisse bitter ernst gewordenen Zeit, die Behörden in ihrem
energischen Willen nachdrücklich unterstützen, die Ruhe, Sicherheit und
Ordnung unter allen Umständen aufrecht zu erhalten. Opferwilligkeit
und Gemeinsinn. Beseitigung von Wucher und allen anderen ekelhaften
Auswüchsen müssen damit Hand in Hand geben. Die Behörden werden
auch darin das Möglichste tun, und veranlassen. So und nicht etwa
auf dem Wege der Selbsthülfe können die Schwierigkeiten der Zeit
zum Besten der notleidenden Bevölkerung einigermaßen gemildert
werden.
       Ohligs, 22. Nov. Die Beerdigung der beiden Opfer der Sams-
tagsunruhen findet heute nachmittag um 3 Uhr auf dem neuen
Kommunalfriedhof statt. Die Leichen sind aufgebahrt in der Schule
Fürk. Schon in den ersten Mittagsstunden bewegten sich kleine Ab-
teilungen Erwerbsloser mit Kranzspenden aus den Nachbarstädten
nach Ohligs, um an den Beisetzungsfeierlichkeiten teilzunehmen.

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