Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 1. Juli 1923
Die Note von Papst Pius XI., in der er unter anderem eine Überprüfung der deutschen Reparationsverpflichtungen und eine friedliche Beilegung der Ruhrkrise empfiehlt, sorgten in Frankreich für Aufruhr. Entgegen französischer Annahmen habe sich der Papst nicht als Freund der Entente, sondern als Kämpfer für den Weltfrieden entpuppt.
Pius XI. und Frankreich.
Zur Ruhrkriegsnote des Papstes.
Ein Politiker schreibt uns: Die Ruhrkriegs-
note des Heiligen Vaters hat in Frankreich wie
eine Bombe eingeschlagen. Darf man den herr-
schenden Papst den Freund und Beschützer
Deutschlands nennen? Als er am 6. Februar
vor. Js. gewählt wurde, posaunte die Pariser
Presse in alle Welt hinaus, Kardinal Ratti, der
zum Papst Erkorene, sei Vertrauensmann und
Kandidat der französischen Partei im Heiligen
Kollegium gewesen. Eine gefälschte Unterredung
mit dem Kardinal, die in italienische und ame-
rikanische Blätter lanziert wurde, quoll von
Zärtlichkeit für die Franzosen und Polen und
von Bitterkeit gegen Deutschland über. Der
Ruf der Ententefreundlichkeit des neuen Herrn
im Vatikan wurde damit begründet, und warb
ihm besonders an der Seine Sympathien. Noch
vor der Krönung, unter dem frischen Eindruck
der Wahl, sandte Poincare dem neuen Papste
eine Glückwunschdepesche, die wie ein Hymnus
klang und dem Träger der Tiara schlankweg
ganz für Frankreich und die französische Poli-
tik in Anspruch nahm.
Aber dann kamen die Ueberraschungen.
Pius XI. entfaltete sich als der ausgesprochene
Vertreter des Friedens und der Versöhnung.
Das Segnen des römischen Volkes und ganz
Italiens vom Außenbalkon St. Peters aus; die
wenn nicht unmittelbar politische, so doch mo-
ralische Annäherung des neuen Pontifikats an
Italien, dann die Beibehaltung des Kardinal-
staatssekretärs Gasparri, aber auch kleine äußere
Züge, so die Begrüßung der Schweizergarde in
deutscher Sprache (das erste Mal seit Hadrian VI.
dem letzten deutschen Papst 1522-1523), das
öffentliche Hervortreten in Begleitung der Kardi-
näle von Köln, München und Breslau, das be-
sondere Wohlwollen für Kardinal Bertram, alle
diese Vorgänge riefen in Paris Bestürzung
hervor.
Dann trat die Friedenskonferenz von Genua
zusammen, und zu Beginn dieses welthistorischen
Ereignisses sandte Pius seine Epistel an den Ge-
nueser Erzbischof Signori. Sie enthielt den
berühmten Passus von den Bajonetten, die ein
schlechter Schutzwall gegen die einstigen Feinde
seien, wenn der „wahre Frieden“ fehle. Es war
wie eine Vorahnung des Ruhrkrieges. Und die-
sem Briefe folgte der nicht minder wichtige, für
die Pariser geradezu bedenkliche zweite Brief,
diesmal an Kardinal Gasparris Adresse worin
der Staatssekretär und die päpstliche Diplomatie
von neuem gegen die Engherzigkeit und Ver-
stocktheit der Sieger aufgerufen wurden. Pius
XI. hat, wie sein Vorgänger Benedikt XV., ge-
nau erkannt, daß der Vertrag von Versailles der
Todfeind jeder friedlichen Entwicklung Europas
und der Welt ist. Wenn er es auch nicht bei jeder
Gelegenheit ausdrücklich heraussagte, so ging es
doch aus jedem Akte deutlich hervor. Pius XI.
weigerte sich entschieden, gegen die Besiegten des
Weltkrieges ein Anathema zu schleudern oder
überhaupt an der Verantwortlichkeit dieses oder
jenes Volkes herumzudeuteln.
Während so in Italien alle Parteien, die Ka-
tholiken wie die Sozialisten auf die Seite des
Papstes traten und die englische Regierung nicht
weniger als die italienische ihn als ihren Ver-
bündeten im Kampfe um den Weltfrieden be-
trachteten, ist ein Riß in der Freundschaft Frank-
reichs zum Heiligen Stuhl eingetreten. Der Riß
wird unverwischbar durch den neuen Papstbrief.
Es ist ein vergebliches Bemühen katholischer
Blätter der französischen Presse, nachweisen zu
wollen, daß der Papst dieselbe Friedensbürgschaft
wünsche, wie die französische Auffassung, näm-
lich „notwendige Garantien“. Bei genauerem
Lesen des vatikanischen Briefes wird man viel-
mehr immer nur zu der Erkenntnis gelangen,
daß der Papst dreierlei verlangt, erstens unpar-
teiische Prüfung der deutschen Leistungsfähigkeit
zweitens Ersatz der Gewaltbesetzung durch an-
dere Bürgschaften und als letztes Ziel: Revision
des Versailler Vertrages im christlichen Geiste
der Versöhnung und der Friedensliebe. Solche
Botschaft konnte nur ein Papst verkünden, der
aus Mitleid Liebe für das wehrlose Deutsch-
land empfindet.
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Stadtarchiv Troisdorf (1. Juli 2023). 1. Juli 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 25. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/affi