Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 30. November 1923
In der Walder Stadtverordnetenversammlung vom 29. November 1923 geht es unter anderem um die Rheinlandfrage, die häufigen Anträge der KPD, die hohe Zahl der Hilfsbedürftigen, die schlechte Annahme der Volksküche und die Politik der Reichsregierung gegenüber dem besetzten Gebiet.
Stadtverordneten-Sitzung in Wald
am 29. November 1923.
Bürgermeister Seynsche eröffnet die Sitzung kurz nach
5 Uhr. Das Kollegium ist beschlußfähig.
1. Einführung eines Stadtverordneten. Der Stadtverordnete
Karl Ballmann (KPD.) wird an Stelle des ausgeschiedenen
Stadtv[erordneten] Weiß in der üblichen Weise in sein Amt eingeführt.
2. Geschäftliche Mitteilungen. Der Stadtverordnete Fabri-
kant Frantzen (D.V.) gehört morgen 25 Jahre dem Kollegium
an. Der Bürgermeister benutzt die Gelegenheit, um Herrn
Frantzen für seine rastlose und aufopfernde Tätigkeit im Interesse
der Gemeinde zu danken. Seit dem Jahre 1910 ist Frantzen
unbesoldeter Beigeordneter, von 1915-1919 war er Leiter des
Lebensmittelamtes. — In dem Verwaltungsstreitverfahren bezüg-
lich der Gewährung freier Lehr- und Lernmittel hat der Bezirks-
ausschuß einen ablehnenden Standpunkt angenommen. Das
Schulgeld für das Ohligs-Walder Realgymnasium wurde auf
monatlich 6,25 Goldmark festgesetzt. Für Oktober soll eine Nach-
zahlung erhoben werden. — Der Jahrzehnte im Polizeiverwal-
tungsdienst tätige Obersekretär Rockholz wurde zum 1. Januar
1924 in den Ruhestand versetzt.
Weiter nimmt das Kollegium eine Entschließung der KPD.
an, die sich gegen die Loslösung der Rheinlande richtet und ver-
spricht, alles daran zu setzen, um ein einiges und freies Deutsch-
land zu erhalten.
3. Notstandsmaßnahmen für die notleidente Bevölkerung.
(Anträge der KPD.). Die KPD. hat wieder die schon häufig ein-
gebrachten Anträge auf umfangreiche Notstandsmaßnahmen für
die notleidende Bevölkerung gestellt. Der Antrag ist vom 26.
September datiert und bewegt sich in seinen Forderungen im
gleichen Rahmen, wie er bereits in mehreren anderen Gemein-
den des Kreises zur Verhandlung gelangte und von uns veröf-
fentlicht wurde. Bürgermeister Seynsche weist auf die schwie-
rige finanzielle Lage der Gemeinde hin, erkennt im übrigen die
moralische Berechtigung der Forderungen an. Wo es möglich
ist, wird der notleidenden Bevölkerung geholfen. Die Wohl-
fahrtspflege wird in dem Rahmen der äußersten Möglichkeit
durchgeführt. Weiter teilt der Bürgermeister mit, daß die Zahl
der Erwerbslosen 4-4500 beträgt. Einschließlich der Angehö-
rigen wird ein Drittel der gesamten Bevölkerung von Wald
aus Wohlfahrtsmitteln unterstützt. Beig. Schneider
(VSPD.) erstattet Bericht über die Einrichtung der Volksküche
und bemerkt dabei, daß die Inanspruchnahme derselben zu wün-
schen übrig lasse. Beig. Lange (KPD.) betont die schreckliche
Notlage fast aller Bürger der Arbeiterklasse und des Mittel-
standes. Stadtv. Freund (VSPD.) bemängelt den schlechten
Besuch der Volksküche. Er vertritt dabei die Ansicht, daß der
Erwerbslosenrat auf eine Zurückhaltung im Besuch der Volks-
küche hinarbeite. Der Bürgermeister und Beig. Lange statten
denjenigen Kreisen, die sich bisher freiwillig in den Dienst der
Wohltätigkeit gestellt haben, den Dank ab. Stadtv. Gräf
(KPD.) hält wenig von der privaten Wohltätigkeit und hält eine
scharfe Anklagerede gegen die Regierung, der er vorwirft, daß
sie absichtlich auf eine Verhungerung der breiten Masse hin-
arbeite. Er verlangt energische Maßnahmen der Gemeinde.
Der Bürgermeister weist einige der Vorwürfe gegen die
Regierung zurück. Stadtv. Sträter (Zentr.) weist auf die
gute Qualität des Volksküchenessens hin und hält die Einrichtung
besonders für ledige Erwerbslose für sehr vorteilhaft. Weiter
wünscht er eine Auszahlung der Erwerbslosenunterstützung in
wertbeständiger Währung. Stadtv. Forst (VSPD.) hält eine
Besprechung der Deckungsfrage für bedeutend wichtiger wie lange
Reden, mit denen die Not doch nicht gelindert wird. Weiter
wendet er sich gegen die ungerechte Behandlung des besetzten
Gebietes durch die Reichsregierung. Stadtv. Klink (KPD.)
vertritt die Meinung, daß sich die Gemeinde nicht an die Ver-
ordnungen der Regierung zu halten brauche. Die Regierung
störe sich selbst ja nicht mehr an die gesetzlichen Bestimmungen.
Stadtv. Rahm (KPD.) weist den Vorwurf, daß der Erwerbs-
losenrat die Volksküche sabotiere, zurück. Die Handhabung der
Organisation der Volksküche lasse zu wünschen übrig. Stadtv.
Weck (Dem.) erklärt, daß die bürgerlichen Parteien gern die
bestehende Not lindern helfen. Sie lehnen es aber ab, wenn
eine Partei die bestehende Not zu schäbigen parteipolitischen
Agitationen ausnützt, wie es der Stadtb. Gräf für die KPD.
gemacht hat. Stadtv. Gräf (KPD.) wirft der VSPD. vor,
daß sie ihre Politik darauf einstelle, zunächst den minderbemittel-
ten Klassen das Geld aus der Tasche zu ziehen, um es ihnen
dann wieder zuzustecken. Beig. Schneider (VSPD.) teilt
mit, daß sich für die Volksküche anfänglich 8 Personen gemeldet
hatten. Dann stieg die Zahl auf über 20. Augenblicklich beträgt
die Zahl an beiden Küchen (Wald und Mangenberg) je 50.
Unter diesen Umständen lohnte es sich nicht, die Frau, die das
Kochen besorge, zu bezahlen. In der Frage der Milchversorgung
habe die Verwaltung nichts unversucht gelassen, um zu befriedigen-
den Ergebnissen zu gelangen. Die Bauern- und Händlerschaft
haben aber nicht das notwendige Verständnis gezeigt. Bei der
städtischen Schuhbesohlanstalt sind die Vorschläge der Verwaltung
dadurch gescheitert, daß die erwerbslosen Schuhmacher außer der
Unterstützung 50 Prozent des Schuhmacher-Tariflohnes fordern
und außerdem eine Kontrolle der Stadt ablehnen. Stadtv.
Klink (KPD.) regt an, die Schuhsohlerei nach Solinger Muster
einzurichten. Der Bürgermeister schlägt Ueberweisung der
Anträge an den Wohlfahrtsausschuß und die Kommissionen vor.
Der Vorschlag des Bürgermeisters wird gegen die Stimmen der
KPD. angenommen.
4. Ersatzwahlen. Als Mitglied der Wohlfahrtskommission
wird Stadtv. Freund (VSPD.), als Mitglied des Verwaltungs-
ausschusses des gemeinsamen Krankenhauses Stadtv. Krall
(VSPD.), als Schiedsmann für den 1. Bezirk Druckereibesitzer
Stöpfgeshoff, als Stellvertreter Heinrich Mühr gewählt.
5. Einrichtung von Konrektorstellen. Die Regierung hat den
ablehnenden Beschluß des Kollegiums beanstandet. Der Beschluß
kam durch Stimmenmehrheit der KPD. zustande. Der Bürger-
meister schlägt vor, die Stellen nunmehr einzurichten und zwar
für die sechsklassigen Schulsysteme einen Konrektor, für die acht-
klassigen Systeme zwei Konrektoren zu genehmigen. Der Antrag
wird mit 17:17 Stimmen, wobei der Bürgermeister den Aus-
schlag gibt, angenommen.
6. Erhebung von Berufsschulbeiträgen in Goldwährung. Das
Kollegium beschließt ohne Debatte, die Arbeitgeberbeiträge der
Berufsschule in Goldmark zu erheben.
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Stadtarchiv Solingen: RK (30. November 2023). 30. November 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 10. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/afcn