Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 16. Juni 1923

Der Dollarkurs steigt weiter.

        Der Sturz ins Bodenlose.
   Markentwertung und Dollarschatz.

     Ein volkswirtschaftlicher Mitarbeiter schreibt
uns: Der Dollarkurs hat die Jubiläums- und
Rekordziffer von 100 000 überschritten. [Fsrude
Rekordziffer von 100 000 überschritten.] Freude
entwegten Hausse-Spekulation. Diese Kreise sind
aber diesmal die einzigen, die bei der rasenden
Markentwertung noch auf ihre Rechnung kom-
men. Die große Fremdenwelle dagegen, die
pünktlich wieder in Deutschland er-
schienen ist, um es auszukaufen, sieht sich sehr
getäuscht. Alle diese echten Kaufleute und ver-
kappten Sommertouristen, die von den deutschen
Konsulaten draußen das Visum für die „drin-
gend notwendige“ Einreise erhalten haben, finden
daß die Preise in den deutschen Städten bei Um-
rechnung durchaus nicht billiger sind, als derzeit
in London, in Prag, in Wien, Warschau; Stock-
holm usw. Textilien, Konfektion, Schuh- und
Lederwaren sind jetzt in Deutschland genau
so teuer wie in den anderen Ländern. Die Pro-
duzenten haben beizeiten ihre Preise hinaufge-
setzt und auch der deutsche Einzelverkäufer ist
jeden Morgen damit beschäftigt, die Zahlen an
seinen Waren abzuändern. Ueberhaupt jeder,
der in Deutschland noch etwas besitzt, das er
veräußern könnte, hat gelernt, sich schleunigst
nach den kletternden Devisen zu richten. Das hat
vielleicht das eine Gute, daß Deutschland nicht
gänzlich ausverkauft wird. Aber wo bleibt bei
den Weltmarktpreisen die von der Spekulation
erwartete Belebung der Exporte? Sieht man
jetzt ein, daß alle ungesunden Mittel sich rächen?

     Unschuldig Leidende sind bei dem neuen Sturz
ins Bodenlose nur wieder die Lohn- und Ge-
haltsempfänger. Sie hinken hinter dem durch-
gebrannten Pferde rettungslos nach. Soeben hat
die Regierung nach mühseliger Arbeit die Auf-
besserungen der Beamten veröffentlicht, und schon
stellt sich heraus, daß alles Rechnen und Feil-
schen vergeblich war. Am nächsten Montag fin-
den im Reichsfinanzministerium abermals Be-
sprechungen zwischen den Spitzenorganisationen
der Staatsarbeiter und den Vertretern der Reichs-
behörden statt, um die Löhne an die Teuerung
anzupassen. Verlorene Liebesmühe! Man ver-
schwendet Zeit und Kraft an Kämpfe, die oft
schon am nächsten Tage zwecklos erscheinen. Man
stellt sich auf Berechnungsgrundlagen, die jeder
praktischen Durchführung spotten. Wär es nicht
an der Zeit, an die Stelle dieser Sisyphusarbeit
eine automatische Lohnausgleichung zu setzen, wie
sie der Buchhandel mit seiner Schlüsselzahl, aber
auch schon die Aerzte mit ihrem Tarifinder ein-
geführt haben?
     Wir reden keineswegs den Goldlöhnen das
Wort, die für die Sozialdemokratie ein zug-
kräftiges politisches Schlagwort abgeben mögen,
in der wirtschaftlichen Praxis jedoch nur zur
Produktionsvernichtung und Arbeitslosigkeit füh-
ren müßten. Aber schließlich hat man doch all-
gemein eingesehen, daß Gehälter und Löhne bis
zu einem gewissen Grade der Geldentwertung
folgen müssen, und daß man diese Geldentwer-
tung durch künstlichen Lohnabbau nie und nim-
mer zum Stillstand bringen kann. Deshalb
spielen sich ja auch die Verhandlungen zwischen
privaten Arbeitgebern und Lohnempfängern
neuerdings meist ohne viel Kampf und böse
Worte ab. Aber der Staat, der mit seinem
Nachkriegsbürokratismus ohnehin eine viel zu
schwerfällige Maschine geworden ist, sollte mit
Vereinfachungen der Lohntarife vorbildlich
wirken.
     Der Staat scheint überhaupt gegenüber den
letzten Markstürzen vollständig den Kopf ver-
loren zu haben. Eine neue Stützungsaktion als
letztes Rettungsmittel ist, obwohl mehrmals [an-]
angedroht, unterblieben. Die Dollarschatzanleihe
letztes Rettungsmittel ist, obwohl mehrmals
anlaß z. Einbruch der Devisenspekulat. gegeben, ist
an der Börse zu einem lebhaft umworbenen Objekt
geworden. Aber die Regierung hat nichts ge-
tan um sie zu popularisieren, um sie zu einer
Massenware zu machen. Drei Viertel aller De-
visenkäufe hätten auf den deutschen „Dollar-
schatz“ übergeleitet werden können. Aber nur der
allerkleinste Bruchteil der erwerbstätigen Bevöl-
kerung hat bis heute vom Wesen und Wert der
Dollaranleihe eine Ahnung. Ein guter Pro-
pagandafilm für die Lichtspielhäuser in Dorf
und Stadt, und der Dollarschatz wäre die Devise
des kleinen Mannes geworden.
     Die Regierung hat auch ruhig zugesehen, wie
alle Vorteile der Schatzanleihe durch die Provi-
sionspolitik der Banken in ihr Gegenteil ver-
kehrt wurden. Die „Stempelvereinigung“ der
Banken. auch eine Nebenregierung im Deutschen
Reiche hat entschieden, daß der Dollarschatz nicht
zu den Anleihen mit ein Siebtel Prozent Bank-
verdienst, auch nicht zu den Devisen mit ein
Viertel Prozent, sondern zu den Effekten gehört,
die zwei Prozent abwerfen. Die Folge ist, daß
man alle Devisen und Anleihen lieber kauft, und
verkauft, als den Dollarschatz. Denn er kostet
zuviel Spesen. Regierung und Reichsbank, die
sich durch die parlamentarische Untersuchung des
Marksturzes aus der Verantwortung retten woll-
ten, werden über ihre Fehler und Versäumnisse
Rechenschaft ablegen müssen, [r]sobald die beruhigte
außenpolitische Lage es erlaubt.