10. Juni 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 10. Juni 1923

Die Reparations- und Ruhrfrage wird wohl so schnell nicht gelöst werden können.

           Die Aussichten des Angebots.
     Von unserm Berliner k-Mitarbeiter.

     Nach der schroffen Ablehnung des ersten deut-
schen Angebots wird man gut daran tun, sich
in bezug auf die Aufnahme der zweiten Auflage
keinen übermäßigen Hoffnungen hinzugeben, ob-
wohl das Kabinett Cuno sich sichtlich bemüht
hat, dem in der britischen Antwort zum Aus-
druck gebrachten Wunsche nach der „Ausschaltung
aller unerheblichen und strittigen Punkte“ nach-
zukommen. Zwar unerhebliche Punkte hat es
vom deutschen Standpunkt aus nicht gegeben;
aber die strittigen Punkte sind ausgeschieden wor-
den, nämlich die Frage der Ruhrräumung und
die des Sicherheitspaktes. Was besonders Punkt
1 betrifft, so wird man sich freilich nicht dem
Glauben hingeben dürfen, daß dies Hindernis
mit der Nichterwähnung in der Note aus dem
Wege geräumt ist. Ist doch soeben erst auf der
Brüsseler Konferenz beschlossen worden, daß die
Aufgabe des passiven Widerstandes und die An-
nahme der staffelweisen Räumung nach Maß-
gabe der Leistungen als Vorbedingung jeder Ver-
handlung gelten soll. Es muß aber als ausge-
schlossen gelten, daß das Kabinett Cuno auf jed-
wede Zusicherung über eine Räumung des Ruhr-
reviers verzichtet. Einen solchen Verzicht könnte
weder das jetzige noch irgend ein anderes Kabi-
nett aussprechen.

     Der Beanstandung der in der ersten Note
angebotenen Gesamtsumme von 30 Goldmilli-
arden sucht die neue Note dadurch zu begegnen,
daß sie von jeder Nominierung einer Gesamtre-
parationsziffer Abstand nimmt und noch positiver
als vorher den Vorschlag wiederholt, daß die
Entscheidung über Höhe und Art der Zahlungen
einer unparteiischen internationalen Instanz über-
tragen werden soll, entsprechend der Anregung
des Staatssekretärs Hughes. Ueber die Zu-
sammensetzung der Kommission wird diesmal
nichts gesagt mit der ausgesprochenen Absicht
alles den angestrebten mündlichen Besprechun-
gen zu überlassen. Das Anleiheprojekt, das
so wenig Gegenliebe fand, ist im wesentlichen
fallen gelassen worden, und es wird statt dessen
ein System von Jahresleistungen vorgeschlagen,
deren Höhe also auch von der internationalen
Kommission nach Schätzung der deutschen Lei-
stungsfähigkeit festzusetzen wäre; doch gibt die
in der Note genannte Jahressumme von im Gan-
zen einer Milliarde Goldmark einen Anhalt da-
für, wie das Kabinett Cuno die deutsche Lei-
stungsfähigkeit einschätzt. Selbstverständlich wird
man darauf gefaßt sein müssen, daß besonders die
Presse Poincares über die „zu niedrige Einschät-
zung“ wieder schreien wird.
     Die von englischer und französischer Seite
in der ersten Note vermißten „konkreten und
substantiierten Vorschläge“ sind in dem Angebot
des auf die Staatseisenbahnen, die von dem
sonstigen Reichsvermögen losgelöst werden sol-
len, einzutragenden Pfandrechts und in der Ga-
rantie deutscher Wirtschaft zu erblicken, wo-
bei jede dieser Garantien mit 500 Millionen
Goldmark bemessen werden soll. Endlich sollen
noch die Zölle auf Genußmittel und die Ver-
brauchssteuern auf Tabak, Bier, Wein und Zuk-
ker als Garantieobjekt dienen. Von alliierter
Seite wird dem vermutlich entgegengestellt wer-
den, daß die Eisenbahnen zunächst auf eine ganz
andere wirtschaftliche Grundlage gebracht werden
müßten, um ihre Ertragsfähigkeit sicherzustellen,
und daß die Zölle und Verbrauchssteuern – in-
folge der Auspoverung Deutschlands – zur Zeit
nur wenig einbringen. Sollte es überhaupt zu
Verhandlungen kommen, so dürfte versucht wer-
den, den Löwenanteil der Sicherheitsleistung auf
Industrie, Banken, Handel, Verkehr und Land-
wirtschaft abzuwälzen. Die garantierte Zins-
zahlung soll nach dem deutschen Vorschlag vom
1. Juli 1927 einsetzen; es wird mithin ebenso
wie im ersten Vorschlag eine Art vierjähriges
Moratorium gefordert, und zwar entweder auf
dem Anleihewege oder auf irgend einem andern.
     Ob es auf Grund des neuen Vorschlages mög-
lich sein wird, die angeregten mündlichen Ver-
handlungen einzuleiten, das bleibt abzuwarten.
Auf französischer und belgischer Seite scheint die
Neigung hierzu, nach den Brüsseler Beschlüssen
zu urteilen, noch mehr als gering zu sein. Viel-
leicht wird der Effekt zunächst nur darin be-
stehen, daß ein neuer Notenwechsel in Gang ge-
bracht wird. Jedenfalls ist, wie schon Eingangs
betont, auch nach dem zweiten deutschen Ange-
bot keinerlei optimistische Beurteilung der Re-
parations- und Ruhrfrage am Platze.

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Stadtarchiv Troisdorf (10. Juni 2023). 10. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 16. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/afa6


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