Quelle: Kreisarchiv Euskirchen, Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend (Amtliches Kreisblatt) vom 9. Juni 1923

Übergabe einer deutschen Note an die Regierungen in Paris, London, Brüssel und Rom

Eine wichtige Woche.
Die deutsche Note ist fertig geworden und ist
am 5. Juni durch Sonderkuriere den deutschen
Vertretern in Paris, London, Brüssel und Rom
übermittelt werden. Es ist also sicher damit zu
rechnen, daß sie am Donnerstag offiziell über-
reicht werden kann. Vor der Absendung hat der
Reichskanzler den Parteiführern einen Einblick in
das Memorandum gegeben, und es wird versichert,
daß alle – Arbeitsgemeinschaft, Sozialdemokratie
und Deutschnationale – mit dem Inhalt einver-
standen waren. Da der Inhalt mit Recht einst-
weilen streng geheim gehalten wird, läßt sich

natürlich auch nicht schätzungsweise sagen, wie die
deutsche Note aufgenommen wird.
In England zeigt sich große Spannung über
das, was die deutsche Regierung bieten werde.
Mehr als eine Stimme drückte bereits den Wunsch
aus, die neuen deutschen Vorschläge mögen so ge-
artet sein, daß England handeln könne. Und
wohl um die englischen Ansichten über das neue
deutsche Angebot festzustellen, weilen deutsche
Bankiers in London, die nicht mit der Regierung,
sondern vielmehr mit einflußreichen Unterhaus-
mitgliedern verhandelten und ihre Ansichten er-
fuhren, wie sie sich das deutsche Angebot denken.
Es soll eine Linie gefunden werden, die eine Ver-
ständigung möglich macht. Deshalb, so wird jetzt
versichert, hat sich die deutsche Antwort auch so
lange verzögert. In Italien ist man außerordent-
lich optimistisch und sagt, Deutschland werde jetzt
jedenfalls einen Vorschlag machen, der diskutiert
werden müsse, zunächst vom Obersten Rat den
einzuberufen, die Anregung Mussolinis ist. Und
schließlich Belgien: Es konspiriert mit England,
es will die deutschen Vorschläge nicht mehr ab-
lehnen, wenn Frankreich es wünscht, sondern eine
Basis zu Verhandlungen suchen. Nun sollen frei-
lich in diesen Verhandlungen weniger die deutschen
Vorschläge, sondern mehr der belgische Plan er-
örtert werden. Belgien denkt sich aber eine Kom-
bination zwischen den deutschen Vorschlägen und
dem belgischen Plan. Jedenfalls spiegelt sich die
englische Auffassung von der Ruhrpolitik heute
stärker in Brüssel wieder. Die Besprechung
zwischen Frankreich und Belgien wird manches
bringen, was hinterher nicht im amtlichen Kom-
muniqué steht.