Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 9. Juni 1923
Eine Reihe von Putschisten sind in München des Hochverrats angeklagt.
Der Münchener Hochverratsprozeß.
Untaugliche Putschisten.
Aus München erhalten wir folgenden
Sonderbericht: Ein Musikprofessor, zwei Kauf-
leute, ein Landwirt und ein Student sitzen auf
der Anklagebank vor dem bayerischen Volks-
gericht. Ein Kapellmeister und ein Jurist haben
sich durch Selbstmord dem Urteil entzogen. Die-
se Vertreter der verschiedensten Berufsstände ha-
ben es nach Ansicht der Anklage unternommen,
in hochverräterischer Weise in Deutschland eine
neue Ordnung aufzurichten. Sie hatten es sich
zur „vaterländischen“ Aufgabe gesetzt, den Land-
tag aufzuheben, die bayerische Regierung von
heute davonzujagen, führende Politiker wie Dr.
Heim, Graf Soden usw. zu „erledigen“, eine
neue Staatsverfassung nebst Königtum, dieses
allerdings hinter der Kulisse eines Regentschafts-
rates, einzuführenn und das stolze Bayernland
mit französischer Hilfe und bei gleichzeitigem Auf-
marsch der Tschechoslowakei vom „bolschewistischen
Berlin“ zu erlösen.
Wie wenig bei den Verschworenen die logi-
schen und psychologischen Vorbedingungen eines
solchen Staatsstreiches gegeben waren, das ging
bereits deutlich aus der Vernehmung des übrig
gebliebenen Hauptangeklagten, des Professors
und ehemaligen Kunstkritikers, Theaterleiters
und Musikfestveranstalters Georg Fuchs her-
vor der nicht Mitglied einer politischen Partei,
überhaupt nicht Politiker, sondern nur Künst-
ler sein will, alle Schuld auf die toten Genos-
sen schiebt und mit seiner verwirrten und unge-
schickten Verteidigungsmanier nur immer wieder
das Hemmungslose und Verschwommene des
ganzes Planes verrät. Die einzige, die dem
bedrängten Professor richtig beispringt, ist –
seine Gattin. Sie sitzt im Zuschauerraum und
mischt sich in die Verhandlung. Der Vorsitzen-
de erlaubt es. Man ist ja ein Volksgericht,
ein Erbstück aus der Hinterlassenschaft Kurt
Eisners der nicht auf strenge Formen sah. Frau
Professor Fuchs macht mit weiblichem Instinkt
das mildernde Moment geltend, daß ihr großer
Mann von den 120 Millionen fremdländischen
Geldes kaum ein paar [h]underttausend für sich
beansprucht haben dürfte.
Um dieses Geld dreht sich die Verhandlung wie
ein Karussell, und bei jeder Wendung tritt pla-
stisch die Figur des Oberstleutnants Richert
hervor, des französischen Generalstabsoffiziers
und früheren Kohlenkommissars für das Saar-
gebiet, der unter dem Decknamen Kreuzer mit
den Verschworenen anbandelte, ihr Vorhaben fi-
nanzierte und ihnen für den Tag des „Losschla-
gens“ zwei Panzerzüge und fünfzig Tanks in
Aussicht stellte. Leider muß man auch hören,
daß die französischen Gelder durch Spenden des
bayerischen Hochadels und deutscher Großindu-
strieller verstärkt wurden. Fuchs gibt zu, von
der Herzogin Karl zu Bayern 30 000 Mark
(damaliges, noch wertvolles Geld) und vom Frei-
herrn v. Cramer-Klett 150 000 Mark erhalten
zu haben. Jeder gab eben für seine besonderen
Zwecke, und keine Hand wollte wissen, was die
andere tut. Am 12. Februar 1923 sollte es los-
gehen. Wegen der Verbindung mit Italien war
Kapellmeister Hugo Machhaus (der sich in der
Nacht vor Beginn des jetzigen Volksgerichts er-
hängt hat) nach Innsbruck gefahren, um dort
mit einem faszistischen Abgeordneten zusammen-
zutreffen, der Mussolini nahesteht. Mit der
Tschechoslowakei sollte der Kohlenhändler Munk
verhandeln, der wahrscheinlich wie der Kohlen-
fachmann Dr. Kühles (der am 6. März ds.
Jahres Selbstmord beging) sich von dem Um-
sturz bestimmte geschäftliche Riesenvorteile ver-
sprach.
Fuchs wolle angeblich von einer monarchi-
stischen Lösung der Angelegenheit für Bayern
nichts wissen. Aber da sind die vorbereiten-
den Proklamationen, die ihm der Gerichtsvor-
sitzende vorhält! Darin ist ausdrücklich die Rede
vom neuen Königreich Bayern. Nur weil es
im Augenblick dem König unmöglich gemacht sei,
zu regieren, werde der Regentschaftsrat eingesetzt.
Im übrigen erinnern die Proklamationen der
bayerischen Verschwörer lebhaft sowohl an den
Kapp-Putsch als auch an die eigene bayerische
Rätezeit. Bei „Todesstrafe“ sollen verboten wer-
den: Der Streik, die Parteipolitik und der
Grenzübertritt. Die Presse sollte natürlich mit
Vorzensur beglückt werden. Ferner war vor-
gesehen: Beschlagnahme allen Bargeldes, wo-
durch aber dessen Umlauf nicht aufgehoben wer-
den soll“, sowie Zwangsverwaltung aller Vermö-
gen von Nichtbayern, Requirierung von Kraft-
fahrzeugen aus dem Besitz von Nichtbayern.
Diese kühnen dilettantischen Diktaturmaßnah-
men sollten allerdings, wie Fuchs behauptet,
nur für den Fall gelten, daß das Reich in Trüm-
mer ginge und die bolschewistische Welle vom
Norden gegen Bayern anstürme. Offenbar ha-
ben die untauglichen Putschisten während all
ihres Treibens und Sichwichtigmachens nicht
gemerkt, daß sie mit ihren phantastischen Ideen
und unausgegorenen Schlagworten nur Schachfi-
guren in der Hand Dritter gewesen sind. Und
das ist vielleicht der mildernste Umstand.
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Stadtarchiv Troisdorf (9. Juni 2023). 9. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/af9b