Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 10. November 1923

Das Solinger Tageblatt kann sich vor dem Hintergrund der Demonstrationen und Forderungen der Arbeitslosen in Solingen das geringe Interesse an der Volksküche nicht erklären.

   ʘ  Eine große Erwerbslosenkundgebung brachte gestern nach-
mittag einiges Leben in die Straßen der Stadt. Ein langer
Zug begab sich zum Rathaus, um mit dem Oberbürgermeister
über weitere Barunterstützungen zu verhandeln. Der Ober-
bürgermeister billigte auch höhere Auszahlungen zu, worauf die
Kundgebung sich verlief. Wir begrüßen es selbstverständlich,
daß die erwerbslosen Mitbürger durch Bar- und Naturalunter-
stützung der [?] Not entzogen werden, meinen aber doch,
daß das Hauptgewicht auf die Naturalunterstützungen gelegt
werden sollte. Es scheint aber fast so, als wenn die Erwerbslosen
anderer Meinung wären. Jedenfalls mutet es etwas befremdlich
an, wenn man hört, daß die eben erst auf dringende Vor-
stellungen hin eröffnete Volksküche kaum einen nennens-
werten Zuspruch aufweist und daß nach wie vor trotz mehrfacher
Aufforderung zur Teilnahme nur etwa 600 Personen sich ver-
pflegen lassen, während die Küche darauf eingerichtet ist, täglich
15 000 Personen mit warmem Mittagessen zu versorgen. Die
schlechte Teilnahme läßt sich um so weniger erklären, als das
Mittagessen heute nur 5 Milliarden, am kommenden Montag
nur 10 Milliarden Mark kostet. Um die Teilnahme zu steigern,
wird die Verwaltung heute noch Plakate in der Stadt anbringen
lassen, die zu einer erhöhten Teilnahme auffordern. Es wäre
doch ganz abwegig, wenn man eine Einrichtung wie die Volks-
küche wegen mangelnder Benutzung wieder würde eingehen lassen
müssen. Besser bestellt ist es mit der Schuhmacherwertstatt, die
so überlaufen ist, daß eine Reihe neuer Schuhmacher würden
eingestellt werden können. Weniger Zuspruch findet dagegen
wieder die Flickwerkstatt, für die das Bedürfnis doch nicht so
groß zu sein scheint, wie man zunächst angenommen hatte. Die
in Aussicht genommenen Wärmehallen sind noch nicht eingerich-                                                           
tet. Auch hier scheint das Bedürfnis im Augenblick noch nicht be-
sonders groß zu sein. Jedenfalls muß man erwarten, daß Ein-
richtungen, die ausdrücklich gefordert worden sind, auch ausge-
nutzt werden[.] Sonst müssen letzten Endes alle Unterstützungs-
maßnahmen ihren Zweck verfehlen. Darüber aber darf man sich
nicht im Zweifel sein, daß bei eintretender Knappheit die Bar-
unterstüungen [sic!] am ersten unzulänglich werden müssen und in
ihrem reellen Wert eine Naturalversorgung sicherlich niemals
ersetzen können.

Wenn Sie sich die vollständige Ausgabe des Solinger Tageblatts ansehen möchten, klicken Sie auf den Link: Solinger Tageblatt 10. November 1923