Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 6. Juni 1923

Ist die Mark bald so schwach wie der Rubel?

                              Rubelmark?
        Von unserm Berliner k-Mitarbeiter.

    „Die Regierung ist jedenfalls fest entschlossen, ge-
meinsam mit der Reichsbank die Markstützungsak-
tion mit allen Kräften fortzusetzen“. In den weni-
gen Wochen, seitdem das Kabinett Cuno dies stolze
Wort vom Stapel ließ, sind die Dollarbäume in den
Himmel gewachsen, und die Mark sinkt anscheinend
ohne Hemmungen ins Bodenlose. Wir erinnerten un-
längst daran, daß es uns heute wie ein schönes Mär-
chen klingt, wenn man einst im damals noch herab-
setzendem Ton von der Groschenmark und der Pfen-
nigmark sprach. Wir hatten eigentlich vorgehabt,
nunmehr den terminus technikus Kronenmark vor-
zuschlagen, weil die Mark den Paristand der öster-
reichischen Krone erreichte. Aber unterdessen ist sie
auch von dieser geschlagen worden, und jetzt hat sie
nur noch eine Valuta hinter sich, den Sowjetrubel!

     Sind wir bereits auf der schiefen Ebene, auf dem
Wege zur Rubelmark angelangt? Es scheint fast,
als ob die Pessimisten, die der Mark jeden Wäh-
rungswert absprechen, die an unbegrenzte Möglich-
ten des Dollarkurses glauben, die Oberhand gewinnen.
Daher der wilde Andrang nach Devisen, den nur rück-
sichtsvollste Beschönigung mit Bedarfskäufen“ zu be-
gründen versucht, daher die Flucht vor der Mark zu
den Effekten, die zu einer durchaus ungesunden Ka-
tastrophe an der Börse geführt hat, daher die gewal-
tigen Preissteigerungen auf allen Gebieten. Denn die
rapide Aufwärtsbewegung der Preise ist ja nur die
unmittelbare Folge oder richtiger gesagt der Ausdruck
des Währungsverfalls. Wobei freilich Profitgier,
Wucher und letzten Endes auch geschäftliche kurz-
sichtigkeit stark mitwirken, da ja eben die Kaufkraft
ihre Grenzen hat und die durch die Preissteigerun-
gen bedingten Lohn- und Gehaltserhöhungen die
Schraube ohne Ende darstellen, unser Wirtschaftsle-
ben in einen Fieberzustand versetzen, den es auf die
Dauer nicht ertragen kann.
    Sind doch jetzt wieder Lohn- und Gehaltskämpfe
auf der ganzen Linie entbrannt mit zum Teil recht
bedenklichen Begleiterscheinungen, da die Kommu-
nisten am Werke sind, die katastrophale wirtschaft-
liche Lage für ihre politischen Zwecke auszubeuten.
     Wobei darauf hinzuweisen ist, daß die wirtschaft-
liche Not, die schwindende Kaufkraft der Mark nicht
durch Lebensmittelkrawalle zu beheben ist. Aber
auch der Regierung muß gesagt werden, daß die Ab-
wehr solcher Krawalle nicht genügt, nicht ihrem vor-
hin zitierten stolzen Programm entspricht. Oder hält
das Kabinett Cuno den Markschwund für ein nicht
abwendbares Verhängnis? Dann sollte der Reichs-
kanzler das offen bekennen und sein Programm revi-
dieren. Aber noch können wir an einen solchen
Kleinmut nicht glauben. Kann doch kein Zweifel
darüber bestehen, daß der Abstieg der Mark, der
jetzt zum Absturz werden beginnt, zum Teil auf
wirtschaftlichen Gründen beruht, zum anderen Teil
aber psychologisch-spekulativer Natur. Psychologisch
wegen der ungünstigen Aussichten des Reparations-
problems, spekulativer Natur, weil eben die ver-
stümmelte Devisenordnung lediglich einen Kinder-
schreck darstellt und von den Spekulanten behohn-
lacht wird.
     An diesen beiden Punkten muss der Hebel ange-
setzt werden. Mit dem In-Aussicht-stellen und An-
drohen der sagenhaften neuen Reichsbakaktion ist
es nicht getan; es muß endlich die zarte Rücksicht-
nahme auf das Spekulantentum, auch wo es sich in
den Mantel industrieller Bedarfskäufe einhüllt,
Schluß gemacht werden, und falls sich der Präsident
Havenstein der Sache nicht gewachsen fühlt, muß ein
tatkräftiger Mann an seine Stelle. Was aber Punkt
2 betrifft, so ist es ein Gebot der wirtschaftlichen
und der politischen Notwendigkeit, daß das Kabinett
Cuno den Krebsgang der Reparationsberatungen be-
schleunigt, damit das neue Angebot endlich den Weg
zu Reparationsverhandlungen bahnt. Werden doch
mit jedem Tag der Verzögerung – siehe die Billio-
nennotenflut – dem deutschen Wirtschaftsleben neue,
kaum heilbare Wunden geschlagen, was freilich auch
die Alliierten ad notam nehmen sollten. Jedenfalls
sind äußerste Anstrengungen und größte Eile, unter-
stützt durch schärfste Maßnahmen gegen die verwerf-
liche, die Mark und das Mark des deutschen Volkes
zerstörende Devisenspekulation geboten, wenn noch in
zwölfter Stunde verhindert werden soll, daß die
deutsche Valuta zur Rubelmark degradiert wird –
mit ihren dann unvermeidlichen bolschewistischen Fol-
geerscheinungen.