Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 30. Mai 1923
Es werden Schuldige für den Absturz der Mark gesucht.
Wer stürzte die Mark?
Die Szene wird zum Tribunal ….
Am heutigen Dienstag beginnen im Reichstag
die Verhandlungen des Ausschusses zur Unter-
suchung des Marksturzes. Das heißt untersucht
wird nicht das volkswirtschaftliche Problem des
Währungsverfalls, das heute jeder Schuljunge
beherrscht, sondern man will Schuldige finden.
Angeklagt ist die Aktion gegen die Markstützung.
Wer hat die Sanierungspolitik der Regierung
sabotiert? Die Spekulation? Die Exportin-
dustrie? Der Ruhrkrieg? Die Notenpresse?
Das parlamentarische Gerichtstribunal wird öf-
fentlich tagen. Nur soweit das Reichsinteresse
es verlangt, werden die Türen zeitweilig ge-
schlossen.
Der Ausschuß besteht aus acht Mitgliedern,
die von der Sache alle viel verstehen. Dr.
Dernburg und Dr. Helfferich bürgen für akade-
mische Gründlichkeit. Der frühere Minister Ro-
bert Schmidt und der Abgeordnete Dr. Hertz
vertreten die Sozialdemokratie, sind aber auch
von amtswegen mit den einschlägigen Fragen
vertraut. Der Vorsitzende, Lange-Hegermann
vom Zentrum ist Kaufmann in Bottrop. Die
Deutsche Volkspartei hat den Exporteur Dauch
aus Hamburg gestellt. Emminger ist Vertrauens-
mann der Bayer. Volkspartei, und die Kommu-
nisten haben in Herrn Frölich den Geist gesandt,
der stets verneint. Gewissermaßen als Ankläger
tritt Reichsbankpräsident Havenstein vor die
Schranken. Er wird einen Vortrag über seine
Markstützungsaktion und über den gewaltsamen
Einbruch ins Devisengebiet halten, worauf dann
das von den Ministerien der Finanz und der
Wirtschaft gesammelte Material zur Prüfung ge-
langen wird.
Ohne dem Urteil dieser hohen Parlaments-
justiz vorzugreifen, muß doch festgestellt werden,
daß daß die öffentliche Meinung, die
sich ihre Ansichten etwas rascher
als ein solcher Ausschuss bildet, be-
reits mancherlei zutage gebracht hat, was dem
Bilde eine ganz andere Färbung gibt. Die
Reichsbank wird dabei als Anklägerin bei-
nahe zur einer Angeklagten oder doch zu einer
Zeugin, die man nicht vereidigen möchte. Warum
so müßte im Kreuzverhör gefragt werden, hat
die Reichsbank am 18. April, als der Dollar
von 20- auf 30 000 sprang, versagt? Warum
hat sie nicht alles aufgeboten, um die weiteren
Sprünge auf 40-, 50- und 60 000 zu verhindern?
Warum hat sie immer nur gedroht sie werde
in den nächsten Tagen den verbrecherischen Spe-
kulanten das Handwerk schon legen? Hält sie
diese gerissenen Priester des goldenen Kalbes für
Kinder, die man einschüchtern kann? Die wis-
sen genau, wie es um den Reichssäckel steht!
Auch jetzt wieder wurden an der Börse Ge-
rüchte von einer bevorstehenden neuen Interven-
tion der Reichsbank verbreitet. Man kann nicht
sagen, daß diese Gerüchte aus einer Amtsstube
kamen. Aber sie stützten sich auf die Londoner
Reise eines hohen Beamten der Reichsbank, und
gleichzeitig hörte man wieder viel von Verstär-
kungen des in London und Zürich liegenden deut-
schen Goldschatzes der unverpfändet sei. Die
Niederländische Staatsbank erhielt etliche Wag-
gons Silber von der Reichsbank, die angeblich
mit einer neuen Stützungsaktion zusammenhän-
gen. Dazu kämen, so heißt es, doch auch noch
die Dollarschatzanweisungen, die von den Banken
garantiert sind. Und dann die Exportdevisen!
Und dann die neue Devisenordnung! Aber wer
glaubt noch an die Rettung in letzter Minute?
Fragt man Leute von der Regierung, so
wird kleinlaut zugegeben, die Stützungsaktion
sei nur für drei Monate gedacht gewesen. Also
waren die Verantwortlichen so kurzsichtig, nicht
zu bemerken, daß man im Ruhrkrieg und im
Kampfe um eine neue Reparationspolitik mit
weit längeren Zeiträumen als drei Monaten
rechnen mußte? Warum hat sich die Reichsbank
mit ihrem Devisenbestand nicht auf ein längeres
Ringen eingerichtet? Hätte sie die Stabilisie-
rung nicht bei 20 000 Mark Dollarkurs, son-
der vielleicht bei 25 000 versucht, so wäre nicht
nur die Exportindustrie zufrieden geblieben, son-
dern auch der Devisenstand der Reichsbank
nicht so schnell dahingeschmolzen. Und als dann
das neue Rennen um die Eindeckung mit aus-
ländischen Zahlungsmitteln begann, waren In-
dustrie und Spekulation wirklich die alleinigen
Treiber? Hat sich nicht z. B. auch der Verkehrs-
minister schuldig gemacht, indem er sich mit eng-
lischer Kohle bis September eindeckte, und so
den Kurs der Devisen mächtig nach oben drücken
half? –
Auch sonst noch wurde innerhalb der Amts-
mauern gerade jetzt gesündigt: Statt die Schrau-
be ohne Ende wenigstens in den Schlüsselprei-
sen (Kohlen, Brot, Gütertarife) zu bremsen, ha-
ben die Regierungsämter nichts Eiligeres zu
tun gehabt, als mit neuen unerhörten Steige-
rungen voranzugehen, genau wie schon Ende
Januar, als die Markstützung begann, die Koh-
lenpreise verdoppelt und die Eisenbahntarife er-
schreckend erhöht wurden, wodurch die Sanie-
rungsaktion den ersten Dolchstoß in den Rücken
empfing. Endlich erscheint es dringend notwen-
dig, daß der Untersuchungsausschuß des Reichs-
tags auch das Anwachsen der schwebenden Schuld
des Reiches in den Kreis seiner Betrachtungen
zieht (Letzter Reichsbankausweis: achteinhalb
Billionen Mark!) und sich nicht mit der beque-
men Ausrede begnügt, der Notenumlauf sei die
Folge der Markentwertung und nicht die Ur-
sache. Gewiß das Kind ist endgültig in den
Brunnen gefallen. Das Zudecken kommt zu
spät. Aber wenn man schon Sündenböcke sucht
soll man sich auch mal die Ankläger und An-
geber genauer ansehen.
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Stadtarchiv Troisdorf (30. Mai 2023). 30. Mai 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/af7m