Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 15. Juni 1923
Eine Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Presse, wie z.B. der Bergischen Zeitung in Solingen, und deren Tendenzen in Richtung Nationalismus und Faschismus.
Die „Bergische Zeitung”, das Organ
der faszistischen Mordbanden.
Solingen, 15. Juni 23.
R. Zu den großen Errungenschaften des deutschen Unter-
nehmertums in der Nachkriegszeit gehört ohne Zweifel sein
bedeutender Einfluß auf eine bedeutende Anzahl deutscher Zei-
tungen. Die gekaufte Arbeit gesinnungstüchtiger Artikelschreiber
sichert den Geldsacksgewaltigen eine bedeutende Dosis täglicher
Meinungsvergiftung, um die Benebelung der Gehirne im
Dienste der „gottgewollten Ordnung“ aufrecht zu erhalten.
Man müßte schon zu einem Vergleich aus der städtischen Ka-
nalisation, dem Ausflußprodukt auf den bekannten Rieselfeldern
greifen, um ein annäherndes Bild von dem schleimig-gefähr-
lichen Inhalt dieser Zeitungen geben zu können, die man ge-
wöhnlich als „Unternehmerreptilien“ bezeichnet. Der Ausdruck
„Stinnespresse“ könnte zu der irrigen Ansicht verleiten, daß
dieser raffsüchtigste der deutschen Raffkes allein seine Presse-
schlingen für die geistig richtungslosen Schichten ausgelegt
hätte. Nichts falscher als das! Nein, jede Unternehmergruppe
hat sich heute ihr Sprachrohr, wenn nicht mehrere, gesichert, die
Reeder sowohl wie die Agrarier, die Kohlenbarone wie die –
bergischen Industriellen.
Das sind die „freien“ und „unabhängigen“ Organe mit
den diskreten finanziellen Hintergründen, mag es sich nun um
die Essener „Rheinisch-Westfälische“, die Elberfelder „Bergisch-
Märkische“ oder die Solinger „Bergische“ handeln!
Gemeinsam ist diesen edlen Organen – neben der scharf-
macherischen Wut über jede noch so bescheidene und hinter dem
wirklichen Elend weit zurückbleibende Forderung der Arbeiter
– eine unverkennbare Hinneigung zu den geheimen reaktio-
nären Organisationen. Das ist nicht verwunderlich. Die un-
abhängigen Geisteshelden in den Redaktionsstuben der oben
charakterisierten Blätter singen eben auch des‘ Lied, dessen
Brot sie essen. Und die Melodien der deutschen Kapitalisten
haben unzweifelhaft einen faszistischen Unterton. Sie besolden
nämlich nicht nur Redakteure – für die fallen zumeist nur Bro-
samen vom Tische des Herrn ab –, sondern sie schmieren auch
die unterirdischen Mordorganisationen mit Millionen-Summen.
Um das zu beweisen, hätte es gar nicht des Münchener Hoch-
verratsprozesses bedurft, in dem unter anderem die riesigen
Unterstützungsgelder der Firma Mannesmann für den
„Blücherbund“ an die unangenehme Oeffentlichkeit gezerrt
wurden. Die Herren Kapitalisten wissen, daß eine Hand die
andere wäscht und daß der Moment vielleicht nicht mehr fern
ist, da sie ihre behakenkreuzten Lieblinge gegen die verd – –
Arbeiter gebrauchen können. Das deutsche Unternehmertum
weiß, daß es sich dann auf die vaterländische Jugend verlassen
kann. Die doch in den letzten Jahren schon so manches „No-
vemberschwein gekillt“, wie einer ihrer Führer sich so edeldeutsch
ausdrückte, daß sie in dergleichen Lapalien längst Praxis und
Erfahrung hat.
Wie der Herr plant, so – schreibt’s Gescherr. Da ist es
wirklich nicht verwunderlich, daß ein Organ von der finan-
ziellen Herkunft der „Bergischen Zeitung“ sich zum Schützer der
Organisation Heinz aufwirft.
Den Anlaß dazu bildete der patriotische Propaganda-
rummel nach der Erschießung Schlageters. Wir wollen
nichts über die Person dieses Opfers der brutalen französischen
Militärjustiz sagen. Wir wissen nicht, ob und wie er Arbeitern
gegenüberstand. Ob er sich dabei anders benommen hätte, um
nur ein Beispiel aus vielen zu greifen, als seine Gesinnungs-
genossen, die Göttinger zeitfreiwilligen Studenten in Mechter-
städt (Ergebnis: fünfzehn viehisch ermordete Arbeiter!), kann
man bezweifeln. Aber wir wollen immerhin anerkennen, daß
er noch mutig für seine Gesinnung eintrat, daß er nicht so feige
war wie gewisse Artikelschreiber in gewissen bürgerlichen Re-
daktionsstuben, erbärmliche Hetzer aus dem sicheren Hinterhalt.
Nun, da Schlageter erschossen ist, erschossen von denselben Fran-
zosen, die seiner Organisation Geld zuführten und sie durch
Provokateure zu Sprengungen anfeuerten, nun sucht die „Ber-
gische Zeitung“ im trauten Verein mit ihrer Elberfelder Ge-
sinnungsgenossin nach Schuldigen am Tode Schlageters.
Auch wir müssen gestehen, daß uns in dieser Frage noch
manches Dunkel der sofortigen Klärung bedarf. Vor allem
müßten die Verbindungen zwischen Heinz–Hauenstein und
den französischen Korruptionsstellen aufgedeckt werden, damit
würde jedenfalls sofort Klarheit geschaffen sein. Der Münchener
Hochverratsprozeß hat ja in dieser Richtung mancherlei auf-
gedeckt, so daß man bei den „vaterländischen“ Verbänden auf
alles gefaßt sein muß. Meint nun die „Bergische Zeitung“
diese Schuldigen? Nein, sie wendet sich gegen die Verhaftung
des Führers Heinz, der angeblich Schlageter habe befreien
können, daran aber durch seine Inhaftierung gehindert worden
sei. Einen Beweis in dieser Richtung spart sich das Blatt natür-
lich. Es scheint die Informationen, die es von der Organisation
Heinz bekommen hat, blindlings zu glauben. Wir bezweifeln
auf Grund unseres Einblicks in die Verhältnisse des französisch-
besetzten Gebietes die Möglichkeit einer Befreiung; ganz ab-
gesehen davon, daß wieder die zurückgebliebene Bevölkerung
hätte leiden müssen.
Soweit sich die Angriffe der beiden Unternehmerblätter
gegen Severing und seine Unterorgane richten, lassen sie
uns kalt. Sie tun übrigens dem Herrn Innenminister bitter
Unrecht, denn er denkt, ganz abgesehen davon, daß ihm auch
die Macht dazu fehlen würde, gar nicht an einen ernsthaften
Kampf gegen die reaktionären Mordverbrüderungen. Seinen
Scheinkampf führt er nur der Rückendeckung nach links wegen,
nach dem Rezept, „man so tun“. Die Freilassung des Burschen
Heinz beweist das.
Wichtiger ist für uns, daß die beiden Unternehmerorgane
überhaupt jedes Eingreifen gegen die unter-
irdischen Banden verurteilen. Ja, sie fordern in-
direkt auf, man solle sie bei ihrer nationalen Arbeit an der
Ruhr unterstützen. Wir kennen die Weise, wir kennen den
Text. Dieselben Blätter haben uns noch vor kurzem bei der
Propagierung der proletarischen Hundertschaften dem Staats-
anwalt denunziert. Dabei kennen sie ganz genau die Mord-
skala, die der Demokrat Gumbel in seinem Buch „Vier Jahre
politischer Mord“ unangefochten mitgeteilt hat, und kennen
auch die Parole, die der Führer und Heros der Schlageter und
Heinz, Hitler, ausgab, nämlich erst den „inneren Feind” zu
erledigen. Und obwohl sie das wissen, werfen sich diese Blätter
zu Schützern der reaktionären Organisationen auf.
Daß sie heute noch tun, als wäre es ihnen hauptsächlich auf
die Befreiung Schlageters angekommen, darf niemand täuschen.
Nur ein politisches Kind kann daran zweifeln, daß diese Unter-
nehmerblätter darauf hinzielen, die Legalisierung der
Mordbanden durch ihre „nationale Arbeit“
an der Ruhr zu erlangen.
Gemach, meine Herren, dabei spricht die Arbeiterschaft ein
gewichtiges Wörtchen mit!
OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen: RK (15. Juni 2023). 15. Juni 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 17. November 2025 von https://doi.org/10.58079/af64

