13. April 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 13. April 1923

Ein Außenpolitiker analysiert, warum Louis Loucheurs Verhandlungsreise nach London scheiterte.

                 Loucheurs Mißerfolg.
            Von einem Außenpolitiker

    Es ist immer das gleiche Spiel: Ein hoch-
stehender Privatmann wird als „Ausländer von
Distinktion“ über die Grenze geschickt. In seiner
Tasche verbirgt er einen amtlichen Auftrag. Ge-
lingt ihm die Aufgabe, so wird sie offiziös, ja
offiziell ausposaunt. Gelingt sie nicht, so war
der Abgesandte eben ein Privatmann, der eine
Meinung hatte und kein Amt. So erging es
Herrn Louis Loucheur, dem französischen Stinnes.
Ehe er nach London fuhr, sprach er in langen
Audienzen mit Poincare. Als er wiederkam,
hielt er Poincare und dem Präsidenten Millerand
lange Vorträge. Obwohl Loucheurs Bewunderer
in ihm den kommenden Mann der Regierung
sehen, müssen sie doch auch zugeben, daß sein
Londoner Versuch, England in das Schlepptau
der französischen Ruhrpolitik zu nehmen, ge-
scheitert ist. Man wollte ihn dann auch nach
Rom schicken. Diese Absicht erscheint jetzt über-
flüssig. Poincare machte jedenfalls einen Strich
durch die Spesenrechnung Loucheurs, indem er
– Pertinar verriet es im Echo de Paris – der
Brüsseler Regierung die telegrafische Mitteilung
zukommen ließ, der frühere Minister im Kabi-
nett Briand, Loucheur, sei mit keiner Mission be-
auftragt gewesen. Die Reparationspolitik der


französischen Regierung sei in keiner Weise abge-
ändert; die französischen Truppen würden das
Ruhrgebiet nicht räumen, bevor die Reparationen
vollständig bezahlt seien; Frankreich sei ledig-
lich bereit, die Annullierung der Bonds C als
Kompensation der Summe anzunehmen, die es
England und Amerika schuldet. Damit wird
natürlich nur verwischt, und vertuscht, was Herrn
Loucheur in London mißglückt ist. Loucheur ver-
langte von England zwei Opfer. Einmal die
Streichung der Schulden innerhalb der Entente
und zweitens einen Verzicht Englands auf weitere
Reparationsleistungen aus etwaigen deutschen
Zahlungen. Mit der ersten Forderung hatte
sich bereits Bonar Law  durch seine Pariser Vor-
schläge einverstanden erklärt. Aber zu dem zweit-
genannten Verzicht ist man in London durchaus
nicht ohne weiteres geneigt. Mit Schrecken hat
man dort die ganze imperialistische Herrlichkeit
des neuen französischen Rheinlandplanes entdeckt,
und da man keine englische Luftflotte hat, um
diesen Kontinentalkonflikt der riesengroß am Hori-
zont droht, auszuspielen, nimmt man den einzigen
vorhandenen finanziellen Anspruch zu Hülfe. Im
Daily Telegraph u. im Daily News war überein-
stimmend am Montagfrüh zu lesen: England tritt
einem Verzicht an den deutschen Reparations-
zahlungen nur dann näher, wenn Frankreich
seinen Plan, einen rheinischen Pufferstaat unter
französisch-belgischer Kontrolle zu gründen, auf-
gibt. In diesem Schachergeschäft, in dieser Nei-
gung, einen politischen Verzicht Frankreichs mit
einem englischen Geldverzicht zu bezahlen, ver-
rät sich wieder die derzeitige diplomatische Schwä-
che Englands. Immerhin hat die britische Re-
gierung in der Frage des „selbständigen Rhein-
staates“ endlich einmal Farbe bekannt. Am deut-
lichsten kam dies schon im Londoner „Observer“
zum Ausdruck. Man schreibt jetzt die Aeuße-
rungen dieses Freikonservativen Sonntagsblat-
tes unmittelbar Bonar Law zu, der damit eine
Antwort auf Loucheurs fehlgegangene Mission ge-
ben wollte. Es hieß im „Observer“ wörtlich:
„die englische englische Regierung kann einer Zer-
stückelung des Deutschen Reiches weder in roher
noch offener, noch in verhüllter Form unter
Zuhilfenahme des Völkerbundes oder der Ein-
führung einer internationalen Verwaltung mit
vorherrschender französisch-belgischer Kontrolle“
zustimmen. Durch diesen drohenden Rheinstaat-
konflikt ist die eigentliche Finanzfrage d. h. die
Neuberechnung der Reparationen, bei den Lon-
doner Verhandlungen Loucheurs unter den Tisch
gefallen. Loucheur schlug die Herabsetzung der
deutschen Schuld gegenüber dem alten Londoner
Zahlungsplan vor. Aber er hat wahrscheinlich
schon von seinen englischen Partnern hören müs-
sen, daß die noch übrigbleibende Zahl von 50
Milliarden die noch im Rahmen der von Deutsch-
land selbst auf der Pariser Konferenz angebotenen
Leistungen bleibt, heute angesichts der Vernich-
tungen des Ruhrunternehmens untragbar er-
scheint. Wenn dieser Faden weitergesponnen
werden soll, muß Frankreich neue Fühler aus-
strecken. Der Vorsitzende des Auswärtigen Aus-
schusses im Reichstag, Abg. Stresemann fragt
in einem Zeitungsartikel mit Recht: „Warum
antwortet die französische Presse nicht auf die
Vorschläge, die der deutsche Außenminister von
Rosenberg in seiner letzten Rede im Auswärtigen
Ausschuß gemacht hat? Warum finden die Aus-
führungen von Hughes so wenig in Frankreichs
Presse ein Echo?“ In Paris treibt man vor-
erst nur Rheinlandpolitik. Man empfängt Herrn
Dr. Dorten aus Wiesbaden. Aber nur, wenn
reine Reparationspolitik getrieben wird, ist Eng-
land wieder zu sprechen. Das ist die Lehre der
fehlgeschlagenen Reise Loucheurs.

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Stadtarchiv Troisdorf (13. April 2023). 13. April 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 24. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/af2k


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