2. November 1923

mehrseitiges Dokument – bitte hier klickenQuelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 2. November1923

Der Ohligser Kaufmann Ernst Schmidt (Kamperstraße 14) wird beschuldigt „die Stadt Ohligs nach Strich und Faden bewuchert“ zu haben. Da der Geschäftsabschluss durch Bürgermeister Sauerbrey zustande gekommen war, wird u.a. „eine Mitschuld des Bürgermeisters für erwiesen“ angesehen. Weitere Angriffsfläche bietet die Tatsache, dass Sauerbrey auch privat bei Schmidt einkaufte und sein arbeitsloser Sohn bei ihm eine Anstellung fand.
     
              Die Ohligser Wucheraffäre vor dem Stadtrat.
          Stundenlange Debatten – Ein negatives Ergebnis.  
    Die Wucheraffäre Schmidt ist, wie nach den Vorgängen zu
erwarten war, zu einem „neuen Fall Sauerbrey“ geworden. Der
Ohligser Stadtverordnetensitzungssaal, in welchem um den jetzi-
gen Bürgermeister schon manch erbitterter Kampf ausgefochten
wurde, war gestern wieder einmal die Stätte mehr oder weniger
leidenschaftlicher Auseinandersetzungen der Parteien. Der Kampf
um die Person des Bürgermeisters bewegte sich in fast gleichem
Rahmen wie damals, d. h. es standen sich zwei Strömungen gegen-
über. Von diesem Gesichtspunkte muß man auch den „Fall“ be-
trachten. Wie Stadtv[erordneter] Cleven nicht unrichtig bemerkte, trat die
Schuldfrage des Kaufmanns Schmidt, der ohne Zweifel die Stadt
Ohligs nach Strich und Faden bewuchert hat, in den Hintergrund
gegenüber der Frage einer Mitschuld von Sauerbrey. Die Er-
gebnisse der stundenlangen Beratungen waren, dies darf man
feststellen, für die tatsächliche Schuld des Bürgermeisters negativ.
Zwar kann man es, besonders nach den Ausführungen des
Führers der Rechtsparteien, Rechtsanwalts Bräuning, als fest-
stehend ansehen, daß der Bürgermeister sich in waghalsige Spe-
kulationen eingelassen hat, auch ist er in der Auswahl seines ge-
sellschaftlichen Verkehrs nicht besonders vorsichtig gewesen. Von
einer Mitschuld von Sauerbrey in der Wuchergeschichte zu
sprechen, dürfte doch sehr unvorsichtig sein. In der Debatte stan-
den Meinung gegen Meinung. Auf den in sachlichem Tone ge-
haltenen Bericht des Beigeordneten Menge, der die Unter-
suchung mit geleitet hat und im wesentlichen das wiedergab,
was wir im „Solinger Tageblatt“ schon mitteilten, antwortete
Sauerbrey in einer nicht ungeschickt aufgebauten Verteidi-
gungsrede. Er stellte in den Vordergrund seiner Ausführungen,
daß er stets das Bestreben gehabt habe, im Interesse der Bevöl-
kerung die Lebensmittel zu einem möglichst billigen Preise zu be-
schaffen, und hierbei jede Gelegenheit ausgenutzt habe. In die-
sem Sinne sei auch die Wohlfahrtsaktion, die vollständig unab-
hängig von der sonstigen Lebensmittelversorgung der Stadt
Ohligs sei, aufzufassen. Im Falle Schmidt sei er das Opfer seines
guten Glaubens geworden, lehne aber mit aller Entschiedenheit
den Vorwurf unlauterer Machenschaften ab. Seine Ausführungen
über die einzelnen Beschuldigungspunkte finden unsere Leser in
dem nachfolgenden Sitzungsbericht. Besondere Verwahrung legte
der Bürgermeister gegen die Eingriffe in seine Privatverhält-
nisse und den Gang des Untersuchungsverfahrens ein, wobei er
betonte, daß die Übertragung der Polizeigewalt in diesem Falle
auf seinen Wunsch an den Beigeordneten Dr. Langhans erfolgte.
Die Stellung der Linksparteien zu der Angelegenheit war eine
ziemlich eindeutige. Die Sozialisten deckten ihn in jeder Hinsicht,
was die Frage der Mitschuld anbetraf. Sie nahmen als sicher
an, das der Bürgermeister in gutem Glauben gehandelt habe,
rügten allerdings eine gewisse Unvorsichtigkeit in seinem Ein-
kaufsverfahren. Interessant war die Stellungnahme der Kom-
munisten, die durch Stadtv. Schick zum Ausdruck brachten, daß
sie die ganze Sache als Machenschaften der Rechtsparteien gegen
den Bürgermeister ansehen. Sauerbrey bekam hierbei einen
Seitenhieb für den „Eselstritt durch die Bürgerlichen“ mit
denen er geliebäugelt habe. Mehr zu bemängeln hat allerdings
der kommunistische Beigeordnete Menge, der als Mitglied des
Untersuchungsausschusses besonders bedauerte, eine Untersuchung
gegen einen sozialistischen Bürgermeister führen zu müssen, und
hierbei besonders betonte, daß die geschäftlichen und privaten An-
schauungen von Sauerbrey als Bürgermeister sich nicht mit
seinen Ansichten decken und daß er jede Spekulation in Lebens-
mittelfragen verurteile. Von den bürgerlichen Parteien ging
man dagegen sehr scharf vor, sah Verfehlungen für erwiesen und
verlangte Amtsentsetzung und Disziplinarverfahren gegen den
Bürgermeister. Beig[eordneter] Bräuning sah es als unvereinbar mit der
Würde eines Bürgermeisters an, daß er überhaupt in derartige
Geschichten verwickelt werden konnte. Er stieß hierbei aber auf
besonders starken Widerspruch bei den Sozialisten, die sehr in
Kampfstimmung waren. Wir halten es auch für einen taktischen
Fehler, daß man die S. P. D. in der Voruntersuchung überging
und nicht zu Rate zog. Die Angelegenheit endete ähnlich wie
das bekannte „Hornberger Schießen“. Man hatte das Gefühl,
daß die Linksparteien gemeinsam, wenn es aufs Ganze geht, den
Bürgermeister stützen werden. Im Ohligser Rathaus wird man
dann wahrscheinlich mit einer „Luftveränderung“ rechnen müssen.
                                                                                                 Sch.
                                 Der Sitzungsbericht.
       Bürgermeister Sauerbrey eröffnet die Sitzung punkt
5 Uhr.
       Der Stadtverordnetensitzungssaal ist von Zuhörern dicht be-
setzt.
       Zur Geschäftsordnung ergreift Stadtv. Heller (VSPD.)
das Wort und erklärt, das er entschieden Verwahrung dagegen
einlege, daß seine Partei zu den Voruntersuchungen in der An-
gelegenheit nicht herangezogen worden und gegen ein derartiges
Verfahren protestieren müsse.
       Dann tritt man in die Tagesordnung ein.
       Beigeordneter Menge (Komm.) betont, daß die Untersuchungs-
kommission bemüht gewesen sei, die Sache objektiv und sachlich zu be-
handeln. In keiner Weise sei zum Ausdruck gekommen, daß die Sache
eine persönliche Note habe. Am vergangenen Freitag wurde er von
Beig. Bräunig zu einer Sitzung eingeladen, an der die Beig. Dr.
Langhans und Bräuning teilnahmen. Daraufhin wurde die Unter-
suchung eingeleitet. Auf die Mitteilung, daß das Handelshaus Schmidt
der Stadt Mehl zu höheren Preisen geliefert habe, wie sie im Handel
üblich waren, sei man einig geworden, weitere Ermittlungen anzu-
stellen. Man habe die Fraktionsvorsitzenden der Parteien mit Aus-
nahme der V. S. P. D. hinzugezogen. Der Bürgermeister habe erklärt,
das ihm von einer Bewucherung nichts bekannt sei. Er habe die Ge-
schäfte im guten Glauben auf die Ehrlichkeit der Firma abgeschlossen.
Nunmehr wurde in dem Geschäft von Schmidt eine Revision vorge-
nommen, die zu den Verhaftungen des Inhabers und seiner Prokuristin
führten. Diese Verhaftungen hatten einen Anstrich als Schutzhaft, um
Ausschreitungen der Bevölkerung zu verhindern, da die Angelegenheit
bekannt geworden war. Die Buchführung der Firma Schmidt gab zu
Beanstandungen Anlaß. Es wurde zwar kein Wucher in Mehl, wohl
aber in Zucker, Linsen und Graupen festgestellt. In den Büchern der
Firma befanden sich Lieferungen an mehrere Beamten, darunter auch
den Bürgermeister, der Waren bezogen hatte, die nicht als bezahlt
bezeichnet standen. Der Bürgermeister habe sich bereit erklärt, die ge-
wünschten Aufklärungen zu geben. Er gab zu, daß er von Schmidt
Waren bezogen habe. Der Einkauf wurde von seiner Frau getätigt.
Ob die Bezahlung der Ware erfolgt sei, könne er nicht genau sagen.
Sein Sohn, der bei Schmidt beschäftigt sei, habe gesagt, daß die
Lieferung der Waren durch ihn erledigt werde. Er habe in der Be-
schaffung der Handelserlaubnis für Schmidt, der bei ihm vorstellig
geworden sei, nur insofern mitgewirkt, als Schmidt als Antragsteller
und Bürger zu ihm gekommen sei. Die Erteilung der Erlaubnis sei
auf dem gesetzlichen Wege durch die zuständige Regierungsstelle in
Arnsberg erfolgt. Die Einkäufe seien deshalb unter Umgehung des
Lebensmittelamtes erfolgt, weil es sich um Lieferungen für das Wohl-
fahrtsamt handelte.
Bürgermeister Sauerbrey erklärt, daß der Fall durch ein Eisen-
bahngespräch aufgerollt worden sei, welches sich später als unwahr
erwiesen habe. Er zweifle zwar nicht an der Objektivität der Unter-
suchungskommission, jedoch habe die Art und Weise wie das Verfahren ein-
geleitet worden sei, einen für ihn bitteren Charakter gehabt. Es seien ihm
Fragen vorgelegt worden, die er nur nach Orientierung beantworten
konnte. Dazu habe man ihm aber keine Gelegenheit gelassen. Daß er
nichts verschleiern wollte, sei schon dadurch zum Ausdruck gekommen, daß er
die Polizeigewalt in der Angelegenheit freiwillig an Beig. Dr. Langhans
abgetreten habe. — Ueber die Lebensmittelversorgung machte er folgende
Ausführungen: Der Einkauf der Lebensmittel sei gegen Wechsel erfolgt,
wobei er das Bestreben gehabt habe, möglichst billige Lebensmittel
für die minderbemittelte Bevölkerung herbeizuschaffen. Die Belege
und Bücher der Stadt seien in voller Ordnung gewesen. Das Handels-
haus Schmidt habe außerordentlich billige Lebensmittel geliefert. Ehe
er die Geschäfte abgeschlossen habe, wurden Auskünfte eingeholt. Er
habe den zuständigen Beamten Anweisungen gegeben, den Einkauf zu
tätigen und sie in keiner Hinsicht beeinflußt. Auch die Prüfung der
Qualität der Lebensmittel erfolgte. Zur Organisation des Einkaufes
habe er sich mit dem Beigeordneten Schaal in Solingen in Verbindung
gesetzt, der ihm auch die Zuverlässigkeit des Handelshauses Schmidt
bestätigt habe. Eine zahlenmäßige Nachweisung des gesamten Ein-
kaufes sei heute nicht mehr möglich, wohl aber der Beweis, daß Ohligs
stets billige Lebensmittel zur Verfügung hatte. Bezüglich der Aus-
stellung des Wechsels von 100 Billionen sei erwähnt, daß der Wechsel
erst dann ausgestellt wurde, als Einkäufe, die höher waren als
100 Billionen, mit Schmidt getätigt waren. Es treffe zu[,] daß er von
Schmidt die Waren bezogen habe. Der Lebensmitteleinkauf seines
Haushaltes wurde durch seine Frau erledigt. Mehrmals habe er
Schmidt ersucht, die Rechnungen zu schicken. Eine Bestechung seiner
Person könne nicht in Frage kommen, da sonst die Lieferungen wohl
kaum in die Bücher eingetragen worden wären. Die mangelhafte
Buchführung der Firma Schmidt sei ihm unbekannt gewesen. Bezüglich
der Erteilung der Handelserlaubnis an Schmidt machte er die gleichen
Ausführungen wie Menge und vertrat den Standpunkt, daß man
einem Menschen, der bestrebt sei, vorwärts zu kommen, keinen Stein
in den Weg legen soll. Die Frage, ob er mit Schmidt in Beziehungen
gestanden habe, greife tief in sein Privatleben ein. Er behalte sich
auch als Bürgermeister das Recht vor, in Gesellschaft zu gehen. Es
sei bitter führ [sic!] ihn, Familienverhältnisse erörtern zu müssen. Sein
Sohn sei durch die Ruhraktion erwerbslos geworden. Bei seiner
großen Familie sei es notwendig gewesen, denselben zum Arbeiten zu
veranlassen. Er habe im Hause von Schmidt eine Stellung gefunden
und diese angenommen. Er habe bei Einrichtung der Aktion geglaubt,
im Interesse der Allgemeinheit und der Aermsten der Armen zu
handeln, und diejenigen Erwerbslosen und Bedürftigen, die heute noch
billige Lebensmittel beziehen, würden anders denken wie diejenigen,
die ein Urteil fällen, ehe der Sachverhalt klargelegt ist. Noch sei nicht
klargestellt, ob Schmidt gewuchert habe. Der Richter werde darüber
entscheiden. Seine Ausführungen seien objektiv, er erwarte dies auch
von der Kritik. Erst nach dem Nachweis der Verfehlungen sei ein
Urteil möglich.
       Beigeordneter Bräuning (D. V. P.) erklärt zunächst, daß er in
der betreffenden Versammlung der Deutschen Volkspartei nur Mit-
teilungen gemacht habe, um dem Gerücht entgegen zu treten, daß es
sich in der Angelegenheit um einen persönlichen Haß von Beig. Lang-
hans, Menge und seiner Person handele. Er betrachtete die Be-
wucherung der Stadt durch Schmidt als feststehend. Der Bürgermeister
sei verpflichtet gewesen, über die Ausstellung eines 100 Billionen-
wechsels ohne weiteres Auskunft zu geben. Der Bürgermeister habe
die Pflicht, den Einkauf zu überwachen. Das Mehlgeschäft sei in
Dunkel gehüllt. Er vermute, daß die Sache am Freitag noch ver-
schleiert worden sei. Die Buchführung der Stadt sei nicht ordnungs-
mäßig gewesen. Die Umgehung des Lebensmitteldezernenten beim
Einkauf von Lebensmitteln seien unzulässig. Die übrigen Lebens-
mittelgeschäfte seien durch das Lebensmittelamt vermittelt worden.
Bei den Lebensmittellieferungen für den Bürgermeister sei es wenig
glaubhaft, daß die Frau des Bürgermeisters die Geschäfte ohne Rat
des Mannes abgeschlossen habe. Wenn ein „Schieber“ wie Schmidt
durch Vermittlung des Bürgermeisters die Großhandelserlaubnis er-
hält und sich der Bürgermeister privat für ihn verwendet, so ist dies
ein Fall, der weitere Amtshandlungen des Bürgermeisters unmöglich
machen sollten. Es stehe fest, daß der Bürgermeister mit Schmidt
privat verkehrt habe und mit ihm nach Köln gefahren sei. Auch die
Anstellungsbedingungen des Sohnes vom Bürgermeister seien günstiger
gewesen, wie sonst bei jungen Leuten. Falls die Bewucherung nicht
geschehen sei, hätten die Erwerbslosen größere Zuwendungen erhalten.
Zum Schluß fordert Beig. Bräunig den freiwilligen Rücktritt des
Bürgermeisters.
       Beigeordneter Dr. Langhans verwahrt sich gegen den Vorwurf
unlauterer Machenschaften. Schmidt sei ein Mann, der eingestanden
habe, die Stadt bewuchert zu haben. Der Redner führt Beispiele an,
nach denen bei Graupen und Linsen größere Uebergewinne der Stadt
berechnet worden sind. In den Büchern des Schmidt befanden sich
Posten, die als „Ziegenfutter“ bezeichnet waren, aber in Wirklichkeit
Zuckergeschäfte bedeuteten. Den Auftrag der Untersuchung habe er
vom Bürgermeister erhalten und werde ihn durchführen. Es sei un-
verantwortlich, in welcher schamlosen Weise die Stadt von Schmidt
bewuchert worden sei, es sei bedauerlich, daß Schmidt die Handels-
erlaubnis wieder erhalten habe. Die Stadt habe einen langen Kampf
gegen Schmidt geführt. Es sei schwer, solche Schädlinge zu stellen.
Schmidt sei ein Mann gewesen, den er nicht gegrüßt habe. Er habe
stets loyal mit dem Bürgermeister zusammen gearbeitet und strebe
nicht nach dem Bürgermeisterposten. Dies möchte er mit aller Ent-
schiedenheit zum Ausdruck bringen. Ueber allem stehe ihm das Wohl
der Allgemeinheit.
       Bürgermeister Sauerbrey erklärt, daß er in seinen Ausfüh-
rungen in keiner Weise an der Objektivität des Beigeordneten Dr.
Langhans gezweifelt habe.
       Stadtv. Renber (V. S. P. D.) betont, daß er über die Sache
selbst zu wenig unterrichtet sei, um ein abschließendes Urteil zu er-
möglichen. Er sei selbst Zeuge gewesen, wie sich der Bürgermeister
um die Beschaffung von Lebensmitteln bemüht habe. Er selbst habe
gegen das Handelshaus Schmidt Bedenken, sei aber innerlich davon
überzeugt, daß der Bürgermeister im guten Glauben gehandelt habe.
       Stadtv. Schick (Komm.) spricht sich scharf dagegen aus, daß die
VSPD. nicht zu der Voruntersuchung herangezogen worden ist. Das
ganze sei eine unlautere Machenschaft. Der Bürgermeister habe mit
den Bürgerlichen geliebäugelt und bekomme jetzt dafür den Fußtritt.
Gewuchert werde überall. Die Erwerbslosen seien froh, daß sie die
Lebensmittel haben. Mit den Privatverhältnissen des Bürgermeisters
habe man nichts zu schaffen. Die Angelegenheit habe einen stark poli-
tischen Beigeschmack und solle gegen den Bürgermeister ausgeschlachtet
werden. Derartige Schweinereien würden stets vorkommen, so lange
die kapitalistische Weltanschauung bestehe und nicht durch die sozialistische
ersetzt sei. Im übrigen haben die bisherigen Ausführungen keine posi-
tiven Beweise, sondern nur Vermutungen ergeben.
       Beigeordneter Menge (Komm.) erklärt, daß es ihm peinlich
gewesen sei, an der Untersuchung gegen einen sozialistischen Bürger-
meister teilzunehmen. Der Bürgermeister sei einer nicht genügenden
Unterrichtung zum Opfer gefallen. Seine Ansicht sei, daß ein Bürger-
meister auch im persönlichen Verkehr Rücksicht zu nehmen habe. Im
Lebensmitteleinkauf seien die Konsumgenossenschaften zu berücksichtigen.
Bei der Untersuchung sei lediglich das Bestreben des Untersuchungs-
ausschusses vorherrschend gewesen, den Schmidt zu entlarven. Ein ab-
schließendes Urteil in der Sache läßt sich nicht vor Abschluß des Ver-
fahrens fällen.
       Stadtv. Cleven (Ztr.) betont, daß er auf den Fall Schmidt nicht
näher eingehen werde, da er das Gericht entscheiden lassen wolle. Im
Namen seiner Parteifreunde erklärt er, daß die Sache keinen politischen
Anstrich habe. Bedenklich sei, daß der Bürgermeister über den Wechsel
von 100 Billionen keine genügende Auskunft erteilen konnte. Die
Fürsorge für die Erwerbslosen liege allen Stadtvätern am Herzen.
Unter Umgehung der Parteien Verpflichtungen abzuschließen, sei un-
zulässig. Heute sei die Affäre Schmidt eine Affäre Sauerbrey. Der
Bürgermeister Sauerbrey habe alle Veranlassung, sich von den Beschul-
digungen zu reinigen. Weiter wendet sich der Redner gegen den Stadtv.
Heller. Seine positive Ansicht sei, daß die Linke einen bürgerlichen
Bürgermeister, der unter gleichen Voraussetzungen beschuldigt sei, fallen
lassen werde.
       Beigeordneter Bräunig (D. V.-P.) führt Beschwerde darüber,
daß die Eintrittskarten zu der Sitzung ungleich verteilt sind, sodaß im
Zuschauerraum fast nur Angehörige der Linksparteien sind. Das
Konto des Stadtv. Heller sei ebenfalls noch belastet. Weiter bemängelt
er, daß die Abwicklung der Lebensmittelgeschäfte einem Sekretär über-
tragen worden sei, der vom Stadtverordnetenkollegium nicht bestätigt
war. Er halte eine Mitschuld des Bürgermeisters für erwiesen. Partei-
politische Rücksichten leiteten seine Parteifreunde nicht.

Auflösung von Abkürzungen:

SPD = Sozialdemokratische Partei Deutschlands
VSPD = Vereinigte Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Komm. = Kommunist(en)
KPD = Kommunistische Partei Deutschlands
DVP = Deutsche Volkspartei
Ztr. = Deutsche Zentrumspartei

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Stadtarchiv Solingen: RK (2. November 2023). 2. November 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 18. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/af1i


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