11. April 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 11. April 1923

Sollten die Löhne weiter erhöht werden?

      Preisabbau und Lohnabbau.
                 Die Gehälter für April.

     Stabilisierung der Löhne oder Lohnerhöhung
– – das ist die Frage, über die zurzeit die deut-
sche Reichsregierung mit den gewerkschaftlichen
Organisationen verhandelt. Man ringt um die
Gehälter für den Monat April. Die Regierung
hatte schon bei Beginn ihrer Stützungsaktion
zum Zwecke der Markbesserung, Andeutungen
gemacht, daß das Festhalten an den gegenwärtig
erreichten Löhnen und Gehältern, also die Ab-
lehnung weiterer Erhöhungen Bestandteil des
wirtschaftlichen Programms werden müsse, und
vielfach wurden ja auch die Märzbezüge nicht ge-
steigert. In privaten Arbeitgeberkreisen war
schon vorher die Parole ausgegeben worden:
Keine Steigerung der Märzlöhne und Märzge-
hälter. Bei Tarifverhandlungen ließen die Ver-
treter der Unternehmer durchblicken, daß sie nur
die Wünsche der Regierung und soweit ihre pa-
triotische Pflicht erfüllten, wenn sie jede Erhö-
hung verweigerten. Es kam, namentlich in Ber-
lin, in einigen Wirtschaftszweigen zu scharfen
Konflikten, und diese Konflikte drohen sich für
April zu Lohnkämpfen auszuwachsen. Die Re-
gierung weist jedenfalls darauf hin, daß eine all-
gemeine Erhöhung der Löhne und Gehälter Rück-
wirkung auf das gesamte Wirtschaftsleben haben
müsse, die im schroffen Gegensatz zur Markstabi-
lisierung und der angestrebten Preissenkung
stehen würden. Eine allgemeine Lohnherauf-
setzung würde auch ein neues Anziehen aller Wa-
renpreise bedeuten. Dem kann aber nach den Er-
fahrungen der letzten Wochen bereits entgegenge-
stellt werden: Ist denn die deutsche Mark wirk-
lich stabilisiert? Ist denn die Preissenkung all-
gemeine Tatsache? Nach den Feststellungen des
Statistischen Reichsamtes zeigt die Reichsindex-
ziffer für die Lebenshaltungskosten trotz der Dol-
larsenkung für den Monat März doch wieder eine
Erhöhung um 8. v. H. Und wer von diesen
Indexziffern nicht viel hält, weil sie statistische
Spielereien sind, der weiß aus seiner eigenen
Lebensführung, daß Butter, Milch, Eier, Woh-
nung, Heizung, Beleuchtung, Verkehrsmittel usw.
in ihren Preisen lustig weiter geklettert sind und
sich den Teufel um die Stützungsaktion der Re-
gierung gekümmert haben. Mit anderen Wor-
ten: Obwohl die Devisenkurse mehr als die Hälfte
ihres früheren Höchstandes hergegeben haben,
ist der innere Wert der Mark, d. h. ihre Kauf-
kraft im Lande den Waren gegenüber nicht größer
geworden, von verschwindenden einzelnen Aus-

nahmen abgesehen. Dazu kommt infolge der
gewaltigen Geldbedürfnisse des Ruhrkriegs eine
Zunahme des Notenumlaufes der Reichsbank, der
augenblicklich etwa auf 2 Billionen Mark monat-
lich beziffert ist. Schon diese Notenflut drängt
zum Anziehen der Warenpreise. Erhöhte Löhne
wären auch diesmal nur die Wirkung, nicht die
Ursache neuer Teuerung. Welche Anschauungen
vertreten nun die Arbeitnehmer? Die Organi-
sationen scheinen untereinander gespalten zu sein.
Von gewerkschaftlicher Seite wird geltend ge-
macht, daß die Reichsbeamten und Staatsarbeiter
heute viel besser bezahlt werden, als die entspre-
chenden Gruppen in der Privatindustrie und daß
namentlich die Eisenbahnarbeiter heute zu den
bestbezahlten Kategorien gehören. Das ist rich-
tig. Aber ebenso richtig ist, was die Beamten
sagen: Die jetzigen Gehälter betragen bei den
unteren Gruppen das 1-1200 fache, bei den
mittleren Gruppen das 8-900 fache, bei den
höheren Gruppen das 5-700 fache des Frie-
densgehaltes; die Lebenshaltung kostet aber das
5-7000 fache! In Wirklichkeit beziehen die
Beamten also im günstigsten Falle nur den vier-
ten Teil des Friedenseinkommens. Allen diesen
Beamten, Angestellten und Arbeitern ist aber
nicht etwa damit geholfen, daß man ihnen etwa
freie Berufe vorhält, Aerzte, Anwälte, Schrift-
steller, Künstler, die noch nicht das 300 fache
ihres Vorkriegseinkommens haben, oder Klein-
rentner und gewisse Mittelständler, die vor dem
Verhungern stehen. Vielmehr gilt es, die Wirt-
schaft des deutschen Volkes durch alle Nöte und
Erschütterungen zu bringen, indem man das Rie-
senheer der staatlichen und privaten Arbeitnehmer
arbeitsfähig und arbeitwillig erhält. Fast alle
Gehälter und Löhne sind noch weit hinter der be-
scheidensten Lebenshaltung der Vorkriegszeit zu-
rück. Kein Beamter, Angestellter und Arbeiter
ist mit seinem jetzigen Einkommen zufrieden.
Diese Unzufriedenheit ist echt und nicht künstlich
übertrieben, wenn man von einzelnen Abnormitä-
ten absieht, wie z. B. der Ueberzahlung Jugend-
licher, die im Anschluß an eine Familie leben und
keine Haushaltslasten tragen. Es wäre das größ-
te Unglück, wenn man die jetzigen Nominallöhne
allgemein als die Norm für künftigen Lohnab-
bau betrachten wollte. Vielmehr müssen diejeni-
gen Löhne und Gehälter die noch allzu weit
hinter der Geldentwertung nachhinken, ihr vor-
erst wenigstens einigermaßen angegelichen werden.

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Stadtarchiv Troisdorf (11. April 2023). 11. April 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/af1f


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