Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 2. Oktober 1923
Verweigerung der Annahme ortsfremden Notgelds durch den Einzelhandel: Einkaufende Hausfrauen bleiben auf ihrem Geld sitzen und müssen „mit leeren Körben“ nach Hause gehen.
Ꙩ Ein Ausweg aus der Notgeld-Not. In der gestrigen Ausgabe
des „Solinger Tageblattes“ machten wir Mitteilung von der Annahme-
verweigerung auswärtigen Notgeldes durch den Lebensmittel-Einzel-
handel. Am heutigen Morgen erschienen auf unserer Redaktion die
ersten Hausfrauen, die zum Lebensmitteleinkauf in die Stadt gegangen
waren, aber mit leeren Körben wieder fortgeschickt wurden, weil sie
z[um] T[eil] kein Geld aus den 5 Gemeinden des oberen Kreises und des
Reiches, sondern nur noch Scheine aus den benachbarten Städten be-
saßen, die ja auf Grund der bisherigen Regelung im hiesigen Bezirk
Umlaufsfähigkeit besaßen. Damit ist die erwartete akute Sachlage ge-
schaffen, und es ist nunmehr eine der vornehmsten Aufgaben der Ge-
meindebehörde, helfend und vermittelnd einzugreifen, und sie ist u[nseres] E[rachtens]
dazu verpflichtet, selbst wenn die Vermittlungstätigkeit mit Arbeit
und Unkosten verbunden ist. Wir haben am heutigen Vormittag mit der
Stadtverwaltung dieserhalb Besprechungen gepflogen und deren grund-
sätzliche Bereitwilligkeit zur Hilfe feststellen können. Es ergab sich aber
auch, daß die Sache nicht ganz einfach ist. Fast ausgeschlossen erscheint es,
die Stadtkasse mit dem Einzelumtausch im direkten Verkehr mit dem
Publikum zu belasten. Dazu würden die vorhandenen Kräfte kaum
ausreichen, es würde außerdem für die ganze Bevölkerung mit großen
Unannehmlichkeiten verbunden sein. Nach eingehender Ueberlegung
glauben wir trotzdem einen Ausweg gefunden zu haben. Er besteht
in folgender Durchführung der großen „Reinigungsaktion“ des Bezirks
von auswärtigem Notgeld: Der Einzelhandel nimmt das bisher
angenommene Notgeld noch eine zeitlang weiter an, bringt es
gezählt und gebündelt zur Stadthauptkasse und tauscht es dort
gegen Solinger oder Reichsgeld ein. Die Stadthauptkasse gibt
das Geld nicht wieder aus, sondern schiebt das Geld in die
Heimatbezirke ab. Jeder einzelne sieht peinlich darauf, daß er
auswärtiges Geld nicht wieder einschleppt. Auf diesem Wege könnte
u[nseres] E[rachtens] bei bereitwilliger Mitarbeit von allen Seiten die Säuberungs-
aktion in wenigen Tagen durchgeführt sein, ohne daß irgend jemand
besondere Verluste erleidet. Die Einkaufsmöglichkeit bliebe, entgegen
dem jetzigen Zustande, aufrechterhalten, der Handel würde einen Teil
der Arbeit, die Stadt die Kosten übernehmen. Einer solchen Regelung
müßten sich auch die ortsansässigen Banken anschließen, sie könnten,
da ja die Stadtkasse die Scheine umtauscht, von der jetzigen Gebühren-
erhebung im Verkehr mit dem Handel Abstand nehmen. Wer dann
nach Ablauf einer gewissen Frist, sagen wir nach 14 Tagen, noch Be-
sitzer nicht umlaufsfähigen Geldes ist, hätte es seiner eigenen Unacht-
samkeit zu verdanken und müßte dann auch die Folgen selbst tragen[.]
Wir glauben, in dieser Form einen gangbaren Ausweg gefunden zu
haben, und hoffen, daß sich der Einzelhandel, von dessen Stellung-
nahme jetzt die Gangbarkeit dieses Weges abhängt, nicht abseits
stellt, wenn ihm, wie uns zugesagt wurde, der Vorschlag heute von
amtlicher Seite gemacht wird.
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Stadtarchiv Solingen: RK (2. Oktober 2023). 2. Oktober 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aezf