6. August 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 6. August 1923

Die Solinger Erwerbslosen setzen beim Arbeitsamt angesichts der täglichen Geldentwertung Vorschüsse auf ihre Leistungen durch.

                              Solingen
                       Wie es gemacht wird!
   Man schreibt uns:
   Am Montag voriger Woche waren die Vertreter der Er‐
werbslosen beim Dezernenten Krenzer wegen eines Vorschusses
oder einer à-Konto-Zahlung vorstellig. Diese sollte Mittwoch
jeder Woche stattfinden. Die Vertreter der Erwerbslosen woll‐
ten durch diese Regelung der Entwertung der Löhnung der Er‐
werbslosen in etwa entgegenarbeiten. Beigeordneter Krenzer
gab am Montag eine fast zusagende Antwort. Aber am Diens‐
tag in den Nachmittagsstunden bekamen die Erwerbslosen vom
Arbeitsamt die Mitteilung, ein Vorschuß, selbst eine à-Konto‐
Zahlung könnte nicht gewährt werden. Und warum nicht?
Weil das Arbeitsamt Solingen sich bei den umliegenden Städten
erkundigt hatte, ob sie auch Vorschüsse oder à-Konto-Zahlungen
leisteten. Da soll nun das Arbeitsamt Ohligs erklärt haben,
es würde unter keinen Umständen Mitte der Woche eine Zah‐
lung an Erwerbslose leisten. Wir sehen hier etwas, was So‐
lingen bisher immer gemacht hat, es nimmt die schlecht‐
gestelltesten Städte und führt dies den Erwerbslosen vor. Und
was noch schlimmer ist, Solingen richtet sich danach.
   Am Mittwochmorgen kamen nun sämtliche Erwerbslose
zum Arbeitsamt, um Geld in Empfang zu nehmen. Als man
nun hörte, daß das Arbeitsamt die à-Konto-Zahlungen abge‐
lehnt hatte, ermächtigte sich der Arbeitslosen eine große Er‐
bitterung, und, wären die Vertreter nicht den Weg ge‐
gangen, welchen sie gegangen sind, so wäre dieser Tag wohl
nicht so friedlich verlaufen. Die Vertreter begaben sich sofort
auf den Weg zum Oberbürgermeister, um diesem die Not der
Erwerbslosen zu schildern und diesen zum Eingreifen zu
zwingen. Von diesem wurden die Erwerbslosen wieder zum
Arbeitsamt verwiesen. Hier war inzwischen der Beigeordnete
Krenzer dazu übergegangen, den Fürsorgeausschuß zusammen‐
zuberufen, also in der Zeit von etlichen Stunden. Wenn man
sich also die Geschichte richtig betrachtet, hätte das Solinger
Arbeitsamt auch in den vorhergehenden Tagen den Fürsorge‐
ausschuß zusammenrufen können, hat es aber unterlassen. Um
eben nicht mit Arbeit überladen zu sein und ein paar Mann
zu sparen, läßt man lieber Tausende hungern.
   Die Demonstration der Erwerbslosen am Mittwoch war
direkt hervorgerufen durch das provokatorische Verhalten der
Leitung des Arbeitsamtes.
   In der Sitzung des Fürsorgeausschusses wurde nun den
Erwerbslosen eine à-Konto-Zahlung in Höhe von 250 000 bis
1 000 000 Mark bewilligt, welche schon am Mittwochnachmittag
ausgezahlt wurde. Diese à-Konto-Zahlung ist inzwischen in
einen langfristigen Vorschuß umgewandelt worden. Dieser wird
ab diese Woche erst in Raten abgehalten. Trotzdem wird den
Erwerbslosen am Mittwoch jeder Woche eine à-Konto‐
Zahlung solange geleistet, bis das Arbeitsamt durch Neu‐
einstellung in der Lage ist, jeden Tag zu zahlen.
   Die Arbeiterschaft soll aus diesem die nötige Lehre ziehen.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Solingen (6. August 2023). 6. August 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 17. November 2025 von https://doi.org/10.58079/aeyl


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