27. März 1923

Quelle: Stadtarchiv Troisdorf, Pressesammlung: Siegburger Kreisblatt vom 27. März 1923

Es wird ein Blick in die Zukunft gewagt.

      Was wird aus der Mark?
          Der Dollar nach Ostern.

    Die Zeichnung auf die deutsche Dollar-Gold-
anleihe ist mit dem Ende der vorigen Woche
abgeschlossen worden. Damit tritt wieder die
Frage in den Vordergrund, wie sich nun der
Dollarkurs und damit die deutsche Teuerung
entwickeln wird, nach oben oder nach unten? Bis
zum Osterfeste scheint der verbesserten Mark eine
Galgenfrist gegeben zu sein. Dann aber hoffen
alle Spekulanten, die großen wie die kleinen
ihr den Todesstoß versetzen zu können, um sich
noch einmal gründlich gesund zu machen, das
heißt sich am Währungselend des ganzen Volkes
zu mästen. Sollen die Blutsauger und Aasgeier
zu ihrem Freudenfeste kommen? Die Reichs-
regierung hat sich in den Tagen der Anleihe-
zeichnung redlich bemüht, den Dollarkurs stabil
zu halten. Man hatte das Gefühl, von einem
Raubtier angeschlichen zu werden. Ganz lang-
sam suchte der Dollar einen Punkt und noch
einen Punkt zu gewinnen. Jedesmal schlug die
Reichsbank ihn zurück. Das gelang ihr umso-
besser, als die Umsätze am Devisenmarkt sehr
geringfügig waren, gleichzeitig aber auch das
Ausland wenig Interesse an der Mark bekundete.
Niemand wußte eben, wohin der Weg geht, und
die Spekulation zitterte. Die Reichsbank regelte
den Kurs der deutschen Währung auch in New-
york, was ihr bei den dortigen geringen Ge-
schäft ebenfalls ohne Aufwendung größerer Mit-
tel möglich war. Nichts aber wäre falscher,


als anzunehmen, die Mark sei schon so gut wie
stabilisiert und Schwankungen, wie man sie vor
der Stützungsaktion der Reichsbank erlebt hat,
seien für alle Zukunft ausgeschlossen. Vor allem
darf man nicht übersehen, daß sich seit den Tagen
eines Dollarbestandes von 50 000 die Finanzlage
des Reiches nicht gebessert, sondern leider ganz
außerordentlich verschlechtert hat. Hauptursache:
Der französische Ruhreinmarsch. Durch diesen
Krieg im Frieden sind dem Reiche nicht nur be-
deutende Einnahmen verloren gegangen, sondern
auch ungeheuerliche neue Ausgaben erwachsen, um
die Abwehraktion erfolgreich durchzuhalten. Man
kann sagen: Was seit Januar an Repa-
rationszahlungen erspart wird, geht für den Ruhr-
krieg drauf. Der Gesamtfehlbetrag des Reichs-
haushalts, der noch im Herbst vor. Js. auf 0,84
Billionen Mark veranschlagt worden war, be-
trägt nach den letzten Feststellungen des Reichs-
finanzministeriums mehr als 7 Billionen Mark,
eine geradezu phantastische Ziffer, bei der sich
auch der geübte Etatkenner kein klares Bild
mehr machen kann. Nur einige Andeutungen:
Der auch heute sehr hohe Dollarstand führt
automatisch zu einer gewaltigen Erhöhung der
Ausgaben für die Besatzungstruppen und Repa-
rationssachleistungen. Die Einlösung der an

Belgien begebenen Schatzwechsel beträgt gegen-
wärtig 1,3 Billionen Mark mehr, als man ur-
sprünglich in Aussicht genommen hatte. Sollte
nach Ostern wieder wie der harmlos klingende
Börsenausdruck lautet, eine Befestigung der De-
visenkurse, selbst nur in mäßigem Umfange, ein-
treten, so wächst die Vermehrung der Lasten ins
Unerträgliche. Gleichzeitig sieht man, gerade
im Zusammenhang mit den ungeheuerlich gestiege-
nen Zahlungsverpflichtungen des Reiches, eine
außerordentliche Steigerung des Notenumlaufs.
Die vierte Billion der im Verkehr schwimmen-
den Papiermark ist demnächst erreicht! Dadurch
wird natürlich das Deckungsverhältnis immer
schlechter. Denn der Goldbestand der Reichs-
bank kann selbst im günstigsten Falle keine Ver-
mehrung erfahren, wohl aber besteht weiter die
Möglichkeit des Goldabflusses an das Ausland.
Durch die neue Inflation droht der Warenmarkt
angesteckt zu werden. In maßgebenden Krei-
sen des Warenhandels wird schon heute viel-
fach die Ansicht vertreten, daß die Preise vor-
aussichtlich langsam wieder anziehen werden. Und
immer hört man das Schreckenswort: Wartet
nur, nach Ostern! Die Reichsregierung ist fest
entschlossen, einer neuen Preissteigerung ent-
gegenzuarbeiten. Sie ermäßigt, wie soeben be-
kannt wurde, die hohen Sätze der Kohlensteuer.
Dies kommt gewiß der ganzen Volkswirtschaft
zugute, schädigt aber wiederum das Reich, da die
Einnahmen aus der Kohlensteuer heute zu den
bedeutendsten Einnahmequellen des öffentlichen
Haushalts gehören. Aber man muß eben alles
versuchen Die für landwirtschaftliche Er-
zeugung notwendigen Düngemittel, wie Super-
phosphat und Natronsalpeter sind im Preis her-
abgesetzt und werden weiter sinken. Die Ge-
treideumlage, die letzte Säule einer mißglückten
Zwangswirtschaft ist über Nacht gestürzt. So
wird die Reichsregierung dem gefürchteten Ein-
wand begegnen, daß die nächste Ernte mit ver-
teuerten Kosten und Spesen belastet sei und des-
halb alle Preise steigen müßten. Endlich steht
die Reichsbank weiter auf ihrem Sanierungs-
posten, mit dem Mute der Verzweiflung, um
dem unersättlichen Dollar den Mund mit deut-
schen Gold zu stopfen. Es ist ein zähes langes
Ringen. Der sagenhafte Serenissimus soll ein-
mal von seinen Ministern die Lösung der sozialen
Frage „binnen 24 Stunden“ verlangt haben.
Der deutsche Verbraucher wird mit dem Wäh-
rungsproblem mehr Geduld zeigen müssen als
jener alberne Souveräntyp. Geduld in der Wäh-
rungsfrage gehört auch zur neuen deutschen Ein-
heitsfront!

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Stadtarchiv Troisdorf (27. März 2023). 27. März 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 16. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aexj


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