10. Februar 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Solinger Tageblatt 10. Februar 1923

Das Wucheramt des Landkreises Solingen verlautbart: Wucher ist das gemeingefährlichste Verbrechen und Vaterlandsverrat

                                   Aus Stadt um Umgegend.
                                                                                           Solingen, 10. Febr[uar]
                                             Was ist Wucher?
       Das Kreiswucheramt in Opladen bittet uns um Ver-
öffentlichung folgenden Schriftsatzes:

       Wucher bedeutet die Ausbeutung einer Notlage eines anderen,
um sich selbst einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen. Heute,
wo der Dollar so rasend steigt und ebenso rapide fällt, um wie-
derum vielleicht desto mehr in die Höhe zu schnellen, glauben viele,
ähnlich wie im August 1922, daß jetzt wieder der Moment ge-
kommen sei, wo sie unser schwergeprüftes Volk in schamlosester
Weise ausnutzen können. Sie denken, daß es nunmehr unmög-
lich sei, ihre Machenschaften nachzuprüfen und glauben, in dem
Dunkel der Valutaschwankungen ihr Gebahren verdecken zu kön-
nen. So ist es denn leider genau wie im August 1922 zu be-
merken, daß fast stündlich die Preise wechseln. Man sieht und
hört, wie Waren auf einmal gänzlich vom Markte verschwunden
sind, ausverkauft sind, um auf einmal mit einem doppelten, ja
dreifachen Preise sich wieder zu präsentieren. Ein derartiges
Verfahren ist selbstverständlich Wucher. Einmal liegt ja hierin
eine Zurückhaltung von Waren, die unter allen Umständen,
worüber es keinen Zweifel gibt, als Wucher strafbar ist. Weiter-
hin bedeutet auch die Preisforderung Wucher. Die Wucher-
ämter, Reichsgericht und das Reichswirtschaftsministerium stehen
und standen stets auf dem Standpunkt, daß das Nehmen des
Wiederbeschaffungspreises Wucher bedeutet. Dies muß heute
doppelt und dreifach gelten. Bei den gegenwärtigen Valuta-
schwankungen kann man von einem Wiederbeschaffungspreis nicht
sprechen, es sei denn, man richtet sich nach dem Dollarkurs.
Darin liegt aber schon bereits der Wucher. Der Dollarkurs
ist Auslandswährung, die mit unserer Inlandswährung an sich
nichts zu tun hat. Die indirekte Beeinflussung der Valuta auf
die Innenwährung soll jedoch hiermit nicht geleugnet werden.
Die Innenwährung steht und stand bedeutend höher als der
Dollarkurs, wie jeder genau an den im deutschen Reiche, sei es
vom Reiche selbst oder von einzelnen Städten, aufgestellten Index-
ziffern, die die Teuerung messen, sehen kann.
       In der gegenwärtigen Zeit kommt jedoch zu allem noch etwas
ganz anderes, und gerade dieses stempelt alle diejenigen, die auf
Kosten des kranken Volkskörpers sich bereichern wollen, also
Wucher treiben, zu den gemeingefährlichsten Verbrechern und
Vaterlandsverrätern. Ein jeder weiß ganz genau, was heute
auf dem Spiele steht. Jeder weiß, daß wir Deutsche heute um
Sein oder Nichtsein ringen. Wer es da nun unternimmt, durch
seinen schmutzigen Eigennutz Haß unter ein durch Treue und Not
so fest zusammengeschmiedetes Volk zu verbreiten, der muß öffent-
lich gebrandmarkt werden. Für den ist keine Strafe groß genug,
um ihn für sein unmenschliches Handeln zu treffen. Ein jeder
soll jedoch wissen, daß die Behörden alles tun werden, was in
ihren Kräften liegt, um die gefährlichste Krebsbeule an unserem
leider so kranken Volkskörper zu beseitigen. Nur bitten sie, daß
alle wie ein Mann ihnen zur Seite stehen, denn nur dann ge-
lingt es, den nichtswürdigen Wucher auszurotten.

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Stadtarchiv Solingen: RK (10. Februar 2023). 10. Februar 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 24. Mai 2025 von https://doi.org/10.58079/ae22