28. Juli 1923

Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 28. Juli 1923

Die erste Großveranstaltung des „Aktionskomitees gegen Faszismus und Separatismus“ findet in der Stadthalle Solingen mit den beiden Rednern Hermann Merkel (Sozialdemokraten) und Karl Fugger (Kommunisten) statt.

                  Hütet euch vor dem Wolf im Schafspelz – dem Faszismus!
      Geschlossene Front des Solinger Proletariats gegen Separatisten und Faszisten.
   Dem Rufe des Aktionskomitees gegen Fas‐
zismus und Separatismus waren gestern große
Massen der Solinger Arbeiterschaft gefolgt. Kopf an Kopf
drängten sich die Arbeiter in dem großen Saal der Stadt‐
halle. Die prächtige Kampfstimmung der Versammlung
zeigte, daß in den Augenblicken der Gefahr für die deutsche
Arbeiterklasse die Arbeiter aller proletarischen Organisationen
einmütig zusammenstehen.
   Eingeleitrt [sic!] wurde die Versammlung durch den stim‐
mungsvollen Massenchor „Tord Foleson“, von Uthmann, vor‐
getragen von den Arbeitersängern des 6. Bezirks. Darauf er‐
öffnete Gen[osse] Oberdörster im Auftrage des Aktions‐
komitees die Versammlung. Er führte aus, daß sich ange‐
sichts der drohenden Lage, in der die Arbeiter sich jetzt be‐
finden, die Solinger Arbeiterorganisationen zusammengetreten
seien, um gemeinsam gegen den furchtbarsten
Feind der Arbeiterklasse, den Faszismus, anzukämpfen.
Das Aktionskommitee, gebildet aus Vertretern der beiden
sozialistischen Parteien, der Komm[unistischen] Partei, dem Ortsausschuß
des ADGB., dem Arb[eiter]-Sport-Kartell und den beiden Jugend‐
organisationen habe die Aufgabe, die Arbeiterschaft zur ge‐
meinsamen Abwehr zu mobilisieren.
   Als erster Redner ergriff sodann der
     Reichstagsabgeordnete Genosse Merkel-Solingen
das Wort, als Vertreter der Sozialdemokratie. In einleiten‐
den Worten verglich er die heutige Situation mit der vom
November 1918, als sich ebenfalls alle Bande der alten Ord‐
nung zu lösen begannen. Eine ungeheure Erbitterung geht
durch das arbeitende Volk.
   Während der Dollar mit 1 Million notiert wird und die
Arbeiter vor Hunger zur Verzweiflung getrieben werden, weiß
die Regierung Cuno vor Ratlosigkeit nichts Besseres zu tun,
als den Reichstag zu vertagen. Mit törichten Reden will man
die Stimmung im Volke aufrecht erhalten.
   Die Regierung hat in den fünf Jahren nichts gelernt.
Der passive Widerstand hat verheerend gewirkt. Man hätte
dem Volke wenigstens das Leben möglich machen können,
wenn nicht lebenswert. Statt die besitzende Klasse zum
Zahlen zu zwingen, warf man den Industriellen Milliar‐
dengewinne in den Rachen. Heute droht das Reich durch
diese Sabotagepolitik der Cuno-Regierung auseinanderzubrechen.
Der einzige Trost ist, daß die Arbeiterklasse in der Stunde der
Gefahr einig zusammensteht.
   Wir müssen jetzt aus den Erfahrungen der letzten 5 Jahre
die Konsequenzen ziehen. Nach dem ersten Ansturm 1918
kamen die alten Gewalten wieder, es kamen die Besitzer der
Produktionsmittel und erklärten: „Wir sind die Macht.“ Die
Bureaukratie, die Kaste der Militaristen, erklärte: „Wir sind
ein Stück Macht.
                    Und was tat das Proletariat?
   Es erklärte nicht, wir sind die stärkste Macht, sondern es
wurde immer mehr geschwächt.
   Heute muß die Solinger Arbeiterschaft die ganze Kraft ein‐
setzen im Kampf gegen die Gewalten.
   Wir wollen keinen Cäsaren mehr, mag er
Wilhelm oder Rupprecht heißen.
   Wir müssen aus dem Parteirahmen heraustreten und
fragen: Ist es denn möglich, daß eine ganze Partei
Verrat an der Sache des Proletariats geübt hat?
   Jede Partei kann Fehler machen. Wenn wir uns nicht
über Programme verständigen können, so haben wir doch alle
eine gemeinsame Aufgabe, den Kampf gegen Wulle und
Poincaré.
   Ich gehöre nicht zu denen, die aufhören wollen, Glieder
des Deutschen Reiches zu sein um schmutziger Franken willen.
Wir werden als Arbeiter diesen Weg nicht gehen, sondern
wir haben noch die Hoffnung, dereinst den Sozialismus zu
verwirklichen, während heute die Kapitalisten uns an Frank‐
reich verraten.
   Heute taucht wieder die Gefahr des alten Regimes auf.
Wollen wir uns wehren, so müssen wir
         den proletarischen Kriegszustand verhängen.
Wenn wir einig sind, werden wir alle Feinde der Republik
ins Mauseloch jagen.
   Wir wissen von Rosa Luxemburg: „Das Proletariat
wird von Niederlage zu Niederlage schreiten, sich immer wieder
erheben, bis es sich die sozialistische Wirtschaft erkämpft hat“.
   Haben wir den Mut, zu erklären, den Kampf um die
Republik zu führen.
   Wir können, was wir wollen, wenn wir einig sind.
(Lebhafter Beifall.)
                             Genosse Fugger-Barmen
warnt dringend vor den beiden größten Gefahren, vor dem
Separatismus und Faszismus. Besonders aber die Rüstun‐
gen des Faszismus seien unheildrohend. Wie konnte
es nur sein, daß der Faszismus so erstarkte? Das haben
wir heute ernstlich zu prüfen. Vor 4 Jahren hatte das
deutsche Proletariat die politische Macht in Händen, damals
besaßen wir die Waffen, die heute in der Hand der Fas‐
zisten sind. Wenn die Arbeiterschaft dem wüsten Treiben
dieser Leute untätig zusieht, ohne die notwendigen Abwehr‐
maßnahmen zu treffen, dann werden wir in wenigen Mo‐
naten Furchtbares erleben. Alle proletarischen Organi‐
sationen sollten sofort ernstlich Stellung nehmen zu
dem nahenden Bürgerkrieg, der ganz bestimmt kommen
wird. Ohne jede Leidenschaftlichkeit sollten wir alle uns
fragen und beraten, was die Stunde gebietet. Leider hat die
Politik der Arbeiterschaft es nicht vermocht, die politische
Macht zu behaupten, sie hat zur verstärkten Machtentfaltung
der Bourgeoisie geführt. Die allzu große Humanität der
sozialdemokratischen Führer sowohl in Italien wie auch bei
uns in Deutschland war der größte Fehler. Wie gemein,
brutal und bestialisch dahingegen hat sich die Bour‐
geoisie nebst ihren weißen Banden benommen. Ich erinnere
an die Jahre 1919 und 1920, wo die Arbeiterschaft nieder‐
geschlagen und ihrer allerbesten Führer beraubt wurde durch
feigen Meuchelmord. Wie war dies nur möglich?!
Dies ist die ernsteste Frage, die wir heute zu prüfen haben.
Und gerade diese Unglücksperiode für die deutsche Arbeiterklasse
machte die Bahn frei für den Faszismus. Hinzu kam, daß
das politisch indifferente Bürgertum auf das Proletariat weit
größere Hoffnungen gesetzt hatte. Wie aber steht es denn heute
mit dem Kleinbürgertum, dem Mittelstand, dem Beamten‐
tum? Heute, unter der kapitalistischen Regierung Cuno, die
sie alle so sehnlichst herbeigesehnt hatten?
   Nun erst recht sind alle schaffenden Kreise
   dem bittersten Elend, dem völligen Ruin
   preisgegeben durch die Schuld der kapi‐
   talistischen Regierung Cuno.
   Und in seiner verzweifelten Ratlosigkeit segelte das Klein‐
bürgertum wie auch irregeleitete Kreise der Arbeiterschaft mit
viel trügerischen Hoffnungen in den Faszistensumpf. Doch wir
warnen immer davor, denn erst recht von jenen groß‐
sprecherischen Abenteurern und Romantikern haben die
schaffenden Kreise absolut keine Besserung der Ver‐
hältnisse zu erwarten. In ganz raffinierter Weise haben die
Faszisten ein Programm aufgestellt, lediglich darauf berechnet,
Gimpel zu fangen. Man schaue nach Italien, wo schon seit
einiger Zeit das Erwachen beginnt. Dort sind bereits alle
alle [sic!] Kräfte am Werke, um durch die Vereinigung der Arbeiter‐
schaft und des Kleinbürgertums die Befreiung aus den Klauen
der Faszisten-Regierung herbeizuführen. Dies rechtzeitig
zu erkennen, einzusehen, daß der Zerfall der kapitalistischen
Gesellschaft bevorsteht, das ist die vornehmste Aufgabe aller
Bedrückten in Stadt und Land. Es muß uns gelingen, mit
dem Mittelstand gemeinsam der drohenden weit größeren Aus‐
beutung durch das Großkapital entgegen zu arbeiten. Alles
ist heute nämlich auf diese Politik eingestellt. Die Kapitalisten
wissen aber, daß die Arbeiterklasse sich das nicht gefallen läßt,
deshalb organisieren und mobilisieren sie schon ihre Söldner‐
truppen, um das Proletariat erneut blutig
niederzuschlagen. Ueberall dasselbe Bild: in Ungarn,
Rumänien, Tschechei, Oesterreich. In allen diesen Ländern steht
das Kapital auf dem Sprunge, um dem Proletariat an die
Gurgel zu springen.
              Das ist ein ernstes Signal für uns alle!
   Gen[osse] Fugger ging dann näher auf den Faszismus ein
und zitierte einige recht zeitgemäße Ausführungen des soziald[emokratischen]
Führers Modigliani im „Vorwärts“, der gleichfalls seine
warnende Stimme erhebt. Er gesteht ein, daß nur infolge
taktischer Fehler seiner Partei der Faszismus in Italien ans
Ruder kommen konnte. Einzelne Führer besaßen eben keine
Energie zur wirksamen Durchführung der Revolution und ver‐
zettelten die kostbarste Zeit durch leere Drohungen, sagte der
Redner und fügte hinzu, sie hätten verdient gehabt, unverzüg-
lich zum Teufel gejagt zu werden. Leider habe das italienische
Proletariat dies versäumt.
   Auch der österreichische Linkssozialdemokrat Jul. Deutsch
wünscht dringend höchste Alarm- und Kampfbereit‐
schaft der gesamten Arbeiterklasse Europas,
er wendet sich mit seinem flammenden Appell an alle sozial‐
demokratischen Arbeiter. Gen[osse] Fugger nahm ferner Bezug
auf die Sprengattentate in Münster, Elberfeld usw. auf die
sozialdemokratischen Druckereien, was doch jedem Arbeiter zu
denken geben sollte. Und da wagt es der Minister Seve‐
ring noch, den proletarischen Selbstschutz und den
Anti-Faszistentag zu verbieten. (Pfui!) Dies ministerielle
Vorgehen gegen das Proletariat muß und wird die Faszisten
erst recht ermuntern. Es wird ein ernstes Ringen geben
darauf müssen wir gefaßt sein.
     In dieser ernsten Stunde wollen wir rüsten
                   zur mächtigen Abwehr!
Die Gesamtarbeiterschaft in den Betrieben und Werk-
stätten möge sich schnellstens zusammenschließen und
mobilisieren, damit wir nicht überrumpelt werden.
Hoffentlich wird die heutige prächtige Versammlung der So‐
linger Arbeiterschaft jedem bisher Säumigen und Lässigen
zum Bewußtsein gebracht haben, daß höchste Alarmbereit‐
schaft geboten ist.
     Schließt die Einheitsfront gegen die Faszisten,
gegen die Feinde der Arbeiter ringsum. Fort
mit dem drückenden Los! (Stürmischer Beifall.)
   Folgende Resolution fand einstimmige Annahme:
                             Resolution!
      Die öffentliche Volksversammlung in der Solinger Stadt
   halle am 27. Juli, einberufen vom Aktionskomitee zum
   Kampf gegen den Faszismus und Separatismus, hat nach
   den Referaten des Sozialdemokraten Genossen Merkel-
   Solingen und des Kommunisten Genossen Fugger-
   Barmen zu den beiden größten Gefahren der Arbeiterklasse
   Stellung genommen.
      Die Versammelten betrachten die faszistische Gefahr als
   so ernst, daß alle proletarischen Organisationen die Massen
   zum Kampfe aufrütteln müssen. Das durch den Kontroll‐
   ausschuß in Schlebusch aufgedeckte faszistische Waffenlager
   zeigt neben anderen Vorfällen auch in unserem Kreise die
   Größe der Gefahr. Die erfolgte Bildung des Aktions-
   komitees gegen diese Gefahren durch die Sozialdemokratische
   Partei, Kommunistische Partei, Gewerkschaftskartell und
   andere proletarische Organisationen war eine dringende
   Notwendigkeit, und wir sind bereit, dem Rufe des Komitees
   Folge zu leisten.
      Das Verbot des Anti-Faszistentages am 29. Juli durch
   den sozialdemokratischen Minister Severing verurteilt die
   Versammlung aufs schärfste und verlangt die sofortige Auf‐
   bebung desselben. Das Verbot hemmt die Entfaltung der
   proletarischen Kräfte gegen den Faszismus und bedeutet
   eine große Begünstigung der faszistischen Bewegung. Im
   Interesse der Arbeiterklasse fordern wir die sofortige Auf‐
   hebung des Verbots der proletarischen Hundertschaften durch
   den Minister Severing, und fordern alle Arbeiter auf, die
   proletarischen Abwehrorganisationen in den Betrieben
   weiter anszubauen [sic!].
      Gegen den Separatismus werden wir einen gesteigerten
   politischen Kampf, und, wenn es sein muß, einen Kampf mit
   allen Mitteln führen.
      Die ganze arbeitende Bevölkerung muß die volksfeind‐
   lichen Bestrebungen der Separatisten, die sich gegenseitig
   als Wucherer, Schieber und Betrüger bezeichneten, mit Ent‐
   schiedenheit zurückweisen.
     Die Diskussionsreden lassen wir am Montag folgen.


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Stadtarchiv Solingen (28. Juli 2023). 28. Juli 1923. 1923: Alltag in der Krise. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/aex2


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