Quelle: Stadtarchiv Solingen, Bergische Arbeiterstimme 26. Juni 1923

Zur faschistischen Gefahr im Bergischen Land: In Witzhelden feiern „Hakenkreuzler“

    Hakenkreuzlerfahrten im Kreise
                      Solingen.
   Witzhelden, 24. Juni. Am letzten Sams-
tagabend zog ein Trupp in Stärke von ca. 200
Personen vom Bahnhof Kukenberg nach Witz‐
helden herein zum Wirthaus Sollmann. Vorweg
eine Art Militärkapelle. Schwarz-weiß-rote Fahnen
mit dem Adler. Gestalten: ehemalige Offiziere,
viele Studenten und verwandte Berufe. Haken‐
kreuzzeichen an der Brust. Ebenso Hakenkreuz
auf schwarz-weiß-roter Fahne. Bis 12 Uhr nachts
wurde gekneipt, dann ging’s in den Wald Blanken-
berg zur „Sonnwendfeier“. Ein Stapel Holz
wurde geopfert und bei diesem Opfer geschworen,
den Juden und Boschewisten den Garaus zu
machen. Augenzeugen berichten, daß auch scharf
geschossen wurde. Dann ging’s wieder zurück zur
besagten Kneipe. Dort wurde bis früh um 5 Uhr
gesoffen.
   Am Abend wurde ein Flugblatt von den Herrschaften
verteilt, gleichsam als Visitenkarte. In dem Flugblatt
wird versucht, die „törichten Leute“, die Walter Rathenau
abgeknallt haben, als Verführte hinzustellen. Und wer hat
diese „törichten Leute“ verführt? Die russischen Bolsche-
wisten. Diese hätten Agenten nach Deutschland gesandt,
die sich in extrem-nationalistische Organisationen ein‐
schmuggeln und Mitglieder zur Ermordung von Ministern
verleiten sollen. Diese Agenten hätten Anweisung erhalten,
so zu verfahren, daß dem wahren Urheber der Mordtat
nicht auf die Spur zu kommen sei.
   Nachdem dieser schmutzige Blödsinn verzapft ist, heißt
es im Flugblatt: „Und die Rechtsparteien haben den
Schaden davon.“ Dann kommen die „Juden“ dran. Der
Student Flesch, so heißt es im Flugblatt, der den Blumen‐
strauß mit schwarz-weiß-roter Schleife dem Helfferich im
Reichstage überreichte, sei Jude und längere Zeit Vor‐
sitzender des Deutschvölkischen Jugendbundes Berlin, Orts‐
gruppe Süd, gewesen. Er hätte seinen Posten verlassen
müssen, nicht, weil er mehrere Male wegen demonstrieren-
den Verhaltens für die Rathenaumörder verhaftet wurde,
sondern weil der deutschvölkische Vorsitzende — „Jude ge‐
wesen sei“. Toll, was? Aber auch interessant! Jahre‐
lang präsidiert Herr Flesch bei den Deutschvölkischen. Da
ist er unvorsichtig, demonstriert öffentlich für die Mörder.
Bringt den immunen Helfferich in peinlichste Verlegenheit.
Was tun? Man entläßt den deutschvölkischen Agitator
als „Jude“.
   Und so schließt das Flugblatt: Bolschewiken und Juden
haben den Walter Rathenau ermorden lassen.
      „Volksgenossen, die ihr kürzlich gegen die Mord‐
   politiker demonstriertet, habt ihr wohl die richtige Front
   eingenommen?“
   Man muß den Faszisten Gerechtigkeit widerfahren
lassen. Sie verstehen es, Mordpropaganda in geschickter
Form zu machen und ihre blutigen Schandtaten von sich
auf andere abzulügen. Die Arbeiterschaft im Kreise So‐
lingen muß wachsamer sein als bisher. Herr Landrat
Lucas ist blind, er sieht keine deutschvölkischen Mordbündler
in seinem Reich. Er sieht nur die proletarischen Abwehr‐
organisationen. Die Arbeiter werden ihre „Abwehr“-Or‐
ganisationen ausbauen und anwenden gegen die Mord und
Brand planenden Orgeschhelden und Faszisten. Es wäre
eine Schmach für die Solinger Arbeiter, wenn sie es dul‐
deten, daß ihnen die Hakenkreuzler auf der Nase herum‐
tanzen. Wir wissen, daß die Solinger Arbeiter auf dem
Posten sein werden. Aber wehret den Anfängen! Seid
doppelt wachsam und immer bereit.